Montag, 4. August 2014

Körperliche Ursachen für Verhaltensprobleme - Teil 1


 
Ist der Hund „nur“ ungezogen und untrainiert und verweigert deshalb ein Signal auszuführen, oder kann hier mehr dahinterstecken?
Reagiert ein Hund immer aufgrund mangelhafter Sozialisierung und „Erziehungsfehlern“ aggressiv auf Artgenossen? Will Ihr Hund Sie nur mal wieder „provozieren“? Setzen Sie sich nicht richtig „durch“?

Was könnte das Verhalten eines Hundes sonst noch so beeinflussen?

Ich möchte Ihnen heute, im ersten Teil der Artikelserie, einige körperliche Ursachen für Verhaltensauffälligkeiten nennen und Hinweise geben, wie man sie erkennen kann.

In einem meiner letzten Postings habe ich bereits die Scheinträchtigkeit als körperliche Ursache für auffälliges Verhalten von Hündinnen beschrieben. Es gibt aber noch weitere Erkrankungen, die leichte bis sehr starke Verhaltensveränderungen beim Tier nach sich ziehen können.

  
Fast alle körperlichen Erkrankungen können Auswirkungen auf das Verhalten eines Hundes haben. 
Ein wichtiges Kriterium vorweg: sehr plötzlich auftretende Verhaltensauffälligkeiten, insbesondere auch aggressives Verhalten bei einem vormals nicht auffälligen Hund haben meist körperliche Ursachen!

Verhaltensprobleme ohne körperliche Ursachen haben oft einen schleichenden Verlauf, die Probleme entwickeln sich langsam über einen gewissen Zeitraum hinweg – hier ist es wichtig, sich einmal in Ruhe hinzusetzen und die letzten Monate Revue passieren zu lassen (das geht besonders gut, wenn man sich auffällige Momente beim Brainstorming aufschreibt). Oft fällt dann auf, dass erste Anzeichen schon weit früher aufgetreten sind und es im Laufe der Zeit zu einer Verstärkung kam. Gerade bei aggressivem Verhalten finden meist ungewollt sehr starke Lernprozesse statt.

Eine Ausnahme im Hinblick auf einen schleichenden Verlauf kann extrem ängstliches Verhalten bilden, es ist oft von Anbeginn an in starker Ausprägung vorhanden und verschlimmert sich oft im Laufe des Zusammenlebens. 

  
Extreme Ängstlichkeit ist meines Erachtens ebenfalls als körperliche Erkrankung zu werten, hier sollte nicht gezögert werden, einem ängstlichen Hund eine entsprechende Behandlung zukommen zu lassen, denn ängstliche Hunde leiden sehr stark. Angst macht keinen Spaß und kann durch die körperlichen Auswirkungen (Stresshormone, Anspannung, Muskeltonus, Hypersensitivität, Reizüberflutung) das Leben zur Hölle machen. Es sollte auf jeden Fall therapiert, trainiert und geholfen werden, denn in der Regel wachsen sich Angstprobleme nicht aus, sie werden schlimmer.
Ich habe einige wenige ängstliche „Patienten“, die nach einer längeren Odyssee erst durch eine unterstützende Medikation in einen lernfähigen Zustand gebracht werden konnten. Halt – dies soll bitte nicht heißen, dass leichtfertig Medikamente eingesetzt werden sollten; hierfür sind auch diverse Voruntersuchungen und auch unbedingt ein Gesundheitscheck notwendig, aber wenn das Gelingen einer Verhaltenstherapie oder eines speziellen Trainings vor lauter Blockaden nicht möglich ist, so sollte ein Zustand geschaffen werden, der dem Tier das Lernen für das weitere Leben ermöglicht. Medikamente können nach oder während einer erfolgreichen Therapie auch wieder abgesetzt werden. Sie sind niemals Standard, aber manchmal nötig, gerade wenn der Leidensdruck des Tieres tierschutzrelevant wird.


Bei jungen Hunden, die plötzlich anfallsartig aggressiv reagieren, diese Zeiten sich jedoch mit gedämpften Phasen und Desorientiertheit abwechseln, sollten die Leberwerte untersucht werden. Beim Beobachten des Hundes sollten Sie insbesondere auf die Zeitspannen achten, die seit der letzten Mahlzeit vergangen sind, denn hier könnte eine angeborene Fehlbildung der Leber bzw. der Blutgefäße zur Leber vorliegen. Bei dieser Erkrankung führen die Blutgefäße aus dem Verdauungstrakt an der Leber (die die Entgiftung vornehmen soll) vorbei, so dass der aus der Nahrung stammende und eigentlich in der Leber unschädlich zu machende Ammoniak ungehindert im Kreislauf zirkulieren kann. Ammoniak ist ein sehr starkes Zellgift, welches auch extreme Auswirkungen auf das Gehirn und somit auf das Verhalten eines Hundes haben kann. 

Schmerzen können das Verhalten eines Hundes ebenfalls stark beeinflussen. Bei den meisten Hunden liegen Probleme im Bewegungsapparat vor. Es sind i.d.R. ältere Hunde, die an Arthrose oder Ähnlichem leiden, betroffen.
Hunde, die Schmerzen haben, können neben Bewegungsunlust auch entsprechende Symptome der betroffenen Organsysteme zeigen (z.B. harte Bauchregion und hochgezogener Rücken bei Schmerzen im Magen-Darm-Bereich). Im Verhalten können starke Berührungsempfindlichkeit bis hin zu Abwehrbeißen oder –schnappen beobachtet werden. Manche Hunde mit Schmerzen im Bewegungsapparat reagieren aggressiv oder abwehrend auf Hundekontakte, da sie aufgrund der Schmerzen eine Interaktion mit dem Artgenossen vermeiden wollen.
Meine alte Hündin hatte seinerzeit bestimmte Signale nicht mehr einhalten können (sie konnte aufgrund von Arthrose z. B. nicht lange sitzen und hat sich dann abgelegt) – sie war nicht ungehorsam, sondern wegen der Schmerzen körperlich nicht mehr in der Lage, bestimmte Verhaltensweisen länger auszuführen. Ich habe natürlich darauf Rücksicht genommen. Hundekontakten gegenüber war sie irgendwann auch nicht mehr so aufgeschlossen, denn jüngere Hunde wollen meist spielen und beim Spielen tat es aus Hundesicht dann immer besonders weh.
Auch Katzen können Verhaltensveränderungen aufgrund von Schmerzen entwickeln, sie gestalten sich aber anders als bei Hunden (Immobilität, Zurückziehen, Fressen verweigern etc. – Katzen verkriechen sich oft).

  
Hunde, deren Sinnesorgane nachlassen, die nicht oder nur wenig hören oder sehen zeigen oft eine erhöhte Schreckhaftigkeit, insbesondere bei plötzlichen Aktionen und Berührungen. Manchmal kommt es auch hier zu Abwehrreaktionen. Bewegungen sind oft sehr vorsichtig, bei akuter Blindheit (die viele Ursachen haben kann) stoßen die Hunde gegen Gegenstände oder Möbel und zeigen Orientierungsreaktionen nach Gehörtem, aber ohne direkt hinzusehen.

Ältere Hunde entwickeln manchmal eine Art „Alzheimererkrankung“, die kognitive Dysfunktion. Hier kommt es durch Alterserscheinungen im Gehirn zu oft tiefgreifenden Veränderungen; manche Hunde werden unsauber, manche erkennen Familienmitglieder nicht mehr, manche Hunde können nicht mehr alleine bleiben, wieder andere vergessen Routineabläufe (sie wollen z.B., kurz nachdem sie eine Mahlzeit hatten, wieder fressen). Es gibt noch zahlreiche weitere Anzeichen. Wenn Ihr Hund älter ist und „schrulliges“ Verhalten zeigt bzw. Dinge nicht mehr kann, die bislang problemlos möglich waren, sollten Sie eventuell an die kognitive Dysfunktion denken. Die Erkrankung ist insbesondere bei frühzeitigem Erkennen gut behandelbar. Sie kommt übrigens auch sehr häufig bei Katzen vor!

Hunde (und Katzen), die den Kopf gegen Wände oder Gegenstände pressen oder drücken, sollten bitte unverzüglich dem Tierarzt vorgestellt werden. Dieses Verhalten deutet auf eine tiefgreifende und meist akute Problematik hin! Bitte schnell untersuchen lassen!

Frisst der Hund nicht mehr, ist lethargisch, schlecht zu motivieren und zieht sich zurück, so könnten hier Depressionen (ja, gibt es auch bei Tieren!), ein posttraumatisches Stresssyndrom (auch dies ist für Tiere dokumentiert), Trauer oder organische Erkrankungen vorliegen. Oft beginnen Infektionen mit Appetitlosigkeit und Lethargie und auch ein fiebernder Hund verhält sich entsprechend. Auch hier sollte eine Fachperson draufsehen.

Rüden werden oft unruhig, fressen nicht oder nur sehr wenig, winseln oder büchsen aus, wenn eine läufige Hündin in der Nähe wohnt. Testosteron (als männliches Geschlechtshormon, es ist aber auch bei Hündinnen vorhanden) kann vielerlei weitere Verhaltensveränderungen auslösen. Intakte Rüden kommen manchmal nach dem Erreichen der Geschlechtsreife nicht mehr mit anderen, meist ähnlich großen Rüden zurecht. Einige Hunde zeigen Aggressionen gegenüber den Artgenossen, denn aus Hundesicht sind andere Artgenossen dann Fortpflanzungskonkurrenten.
Östrogen und Progesteron (als „Trächtigkeitshormon“) können bei Hündinnen während oder nach der Läufigkeit manchmal ebenfalls Aggressionen gegenüber (meist weiblichen) Hunden auslösen. 

  
Wo wir gerade bei den Hormonen sind: auch ein veränderter Schilddrüsenstoffwechsel kann Verhaltensveränderungen erzeugen und sollte hier erwähnt werden. Nur kurz: die Schilddrüse und ihre Hormone sind bei zahlreichen Stoffwechselprozessen im Körper direkt und indirekt beteiligt. Die Schilddrüsenhormone wirken wie ein „Motor“, wenn es hier zu Veränderungen kommt, kann dies natürlich (mitunter starke) Auswirkungen auf das Verhalten haben.

Sie sehen, körperliche Erkrankungen können das Hundeverhalten in vielerlei Hinsicht beeinflussen. Im zweiten Teil des Artikels werde ich Ihnen noch ein paar weitere Ursachen beschreiben –  Teil 2 folgt in einiger Zeit.

Im Zweifelsfall sollten Sie also bitte eine Tierärztin oder einen Tierarzt hinzuziehen.

Bis zum nächsten Blogposting wünsche ich Ihnen und Ihrem Vierbeiner einen schönen und vor allem gesunden August und schöne Ferien!





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