In meinen letzten Blogpostings ging es um unangemessene
Trainingsmethoden und um grobes, ineffektives Arbeiten mit dem Hund, unter
anderem, weil Hunden von manchen Menschen zu viele Wolfseigenschaften
zugesprochen werden (die selbst für Wölfe nicht zutreffend sind!). Heute soll
es darum gehen, dass das Zusprechen bestimmter menschlicher Eigenschaften für
Hunde in manchen Fällen auch nicht der richtige Weg ist.
Ich möchte einen Überblick über das Thema „Schlechtes
Gewissen“ und „Schuldgefühle“ für Missetaten bei Hunden verschaffen und
Forschungsergebnisse vorstellen. Ergebnisse wissenschaftlicher Studien sind
meiner Meinung nach der beste Weg, emotionalen Themen sachlich zu begegnen.
Viele Menschen sind sich sicher sind, ihr Haustier,
insbesondere der Hund, habe ein schlechtes Gewissen, wenn er etwas angestellt
hat. Gerade das Thema „schlechtes Gewissen“ führt sehr oft dazu, dass
Hundebesitzer, eine bewusste Missetat vermutend, zu Strafmaßnahmen greifen. „Der
/ die weiß genau, was er/sie angestellt hat!“ – „Das macht er / sie nur aus
Protest!“ – „Wenn ich nach Hause komme, hat der Hund ein schlechtes Gewissen, weil
er etwas angestellt hat!“. Aber empfinden Hunde tatsächlich Schuld, verfügen
Sie über ein „Gewissen“ und Moralvorstellungen?
Die Wissenschaft hat bestätigt, dass Tiere / Hunde zu den so
genannten „primären Emotionen“, also Freude, Wut, Angst und Furcht, aber auch
zum Empfinden von Schmerzen, Durst, Hunger und sexuell motivierten Gefühlen
nachweislich in der Lage sind. Die primären Emotionen sind aus
evolutionsbiologischer Sicht für das Überleben notwendig und ermöglichen dem
Tier eine Anpassung an soziale- und
Umweltgegebenheiten. Keiner von uns Hundebesitzern würde abstreiten, dass sein
Hund Angst empfindet oder Freude zeigen kann. Allerdings werden Theorien erst
dann zu Tatsachen, wenn sie wissenschaftlich nachgewiesen werden. Es gibt zahlreiche Veröffentlichungen
zum Thema "primäre Emotionen".
Aktuell findet sehr viel Forschung im Bereich der Kognition
bei Tieren statt, hier werden in naher Zukunft bestimmt interessante neue
Erkenntnisse auf uns zukommen. Diese Untersuchungen sind sehr begrüßenswert, es
bleibt zu hoffen, dass die Ergebnisse für verbesserte Lebensbedingungen bei allen
von Menschen gehaltenen Tierarten, also auch (und gerade) für Nutztiere sorgen
werden! Diesen werden selbst „primäre“ Emotionen ja leider oft abgesprochen…
„Sekundäre Emotionen“, wie Neid, Stolz, Schuld, Kummer,
Scham und Verzweiflung sind bei Tieren nur schwierig direkt und genau zu beobachten,
zu messen und entsprechend nachzuweisen. Sie sind definiert als sekundäre
Reaktion auf eine grundlegende Emotion bzw. eine Emotion über eine Emotion oder
eine emotionale Reaktion auf eigene Gedanken.
Um „sekundäre“ Emotionen empfinden zu können, benötigen
Tiere ein gewisses Maß an Selbst“bewusstsein“, Selbstwahrnehmung und eine
größere kognitive Komplexität.
Für uns Menschen sind „sekundäre“ Emotionen sozusagen ein
Kinderspiel, weil wir mit – im Vergleich zu Tieren – einer hoch leistungsfähigen
Großhirnrinde ausgestattet sind, so dass wir unsere Gefühle nicht nur
wahrnehmen, sondern sie auch noch im Nachhinein betrachten, bewerten und
erklären können. Für Tiere weisen Erkenntnisse darauf hin, dass Emotionen vor
allem in der Gegenwart von Bedeutung sind, aber eher nicht im menschlichen Maße
im Nachhinein analysiert werden können oder für das Tier hinterher „begründbar“
und reflektiert werden könnten.
Wenn Sie ein wenig Zeit haben, so lohnt sich der folgende
TED-Talk von Frans de Waal zum Thema „Moral bei Tieren“ wirklich sehr und
könnte Ihre Einstellung vielleicht verändern (Ich kann mich sehr gut im sich
ungerecht behandelt fühlendem Kapuzineräffchen wiedererkennen):
Bis jetzt gibt es nur wenig empirische Untersuchungen zum
Thema Schuldbewusstsein bei Hunden im Kontext Hund-Mensch (Hecht et. al., 2012).
Im Jahre 1977 untersuchte Vollmer die Reaktion von Hunden
auf eine typische Missetat, hier Zerrupfen von Papier, die jedoch in des Hundes
Abwesenheit von Menschen verursacht wurde. Dann brachte man den Hund in den
Raum mit dem zerschredderten Papier und ließ ihn dort alleine. Im Anschluss
untersuchte man das Begrüßungsverhalten, wenn der Besitzer in den Raum
zurückkehrte. Hier wurde festgestellt, dass das „schuldbewusste“ Begrüßen
lediglich eine konditionierte Reaktion auf das gemeinsame Vorhandensein von
zerrupftem Papier und der Rückkehr des Besitzers war.
Morris und Mitarbeiter haben im Jahre 2008 Haustierbesitzer
zu sekundären Emotionen befragt. Fast drei Viertel aller befragten
Hundebesitzer gaben hierbei an, dass ihre Hunde Schuld empfinden würden („schlechtes
Gewissen“). Besitzer anderer Haustierarten konnten „Schuld“ in solch hohen
Prozentzahlen bei der von ihnen gehaltenen Tierart nicht erkennen;
interessanterweise konnten die nächsthöheren Prozentzahlen bei Pferdebesitzern
gefunden werden (36% der Pferdebesitzer sehen Schuldbewusstsein bei ihren
Pferden). Scheinbar zeigen vor allem Hunde bestimmte Verhaltensweisen, welche
wir Menschen als Schuldbewusstsein interpretieren.
Das Problem hierbei ist, dass Hunde für die Hundebesitzer
nicht nur scheinbar „schuldbewusst“ aussehen, sondern dass Menschen dann auch
annehmen, die Hunde würden tatsächlich Schuld
empfinden, ihre „Missetat“ realisieren können und sich somit bewusst sein, etwas
Falsches oder Unangebrachtes getan zu haben, was gegen die Haushaltsregeln verstößt.
Dies wiederum beeinflusst natürlich nachhaltig, wie Menschen mit ihren Hunden
in solchen Situationen umgehen und auch, welche Erwartungen Hundebesitzer an
ihre Hunde haben. Das kann nur unfair ausgehen…
Das Vorhandensein eines Schuldempfindens bei Hunden würde
bedingen, dass Hunde bestimmte Taten in einem bestimmten sozialen Kontext
analysieren können und sich dann auch entsprechend über die Auswirkungen des
eigenen Verhaltens und die Gedankengänge von anderen Lebewesen („Theory of
mind“) im Klaren sein müssten. Derartig komplexe Bewusstseinsleistungen und
selbstreflexive (im Bezug auf Schuldbewusstsein auch fremdreflexive)
Fähigkeiten werden Hunden zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht uneingeschränkt
zugesprochen bzw. konnten im Bezug auf Schuldbewusstsein noch nicht
nachgewiesen werden. Andersherum gedacht: dann müssten Hunde ja auch lügen
können, denn weshalb sollte man Schuld eingestehen, die mit ziemlicher
Sicherheit zu einer Bestrafung führt?
Hunde, die „schuldbewusst“ wirken, vermeiden Blickkontakt,
kauern sich zusammen und zeigen Verhaltensweisen aus dem Bereich der
Beschwichtigung und Submission, wie z. B. niedrige Körperhaltung, langsame
Bewegungen, Wegsehen, über den Fang lecken, Pföteln, eingezogene Rute,
angelegte Ohren sowie teilweise Bewegungslosigkeit oder Rückzug, der
Köperschwerpunkt liegt eher im hinteren Körperbereich.
In einer Untersuchung (Horowitz, 2009) wurden diese
Verhaltensweisen bei Hundebesitzern erfragt, wobei für die oben beschriebenen
Muster eben auch ein Zusammenhang mit Angst, Unsicherheit oder gar freundlicher
Zuwendung möglich ist, wenn sie aus Sicht des Hundes betrachtet werden. Diese
Verhaltensweisen können auch in anderen Umständen in dieser Art und Weise
beobachtet werden, also z. B. bei Begrüßungen, in furchteinflößenden Situationen,
bei aktiver Demut etc, und sind also nicht rein spezifisch als Hinweise für
Schuldbewusstsein zu werten.
In der Untersuchung von Horowitz erfolgte eine Testreihe, in welcher vier Versuchsabläufe getätigt wurden, die
eine entsprechende Selbstregulationsfähigkeit bei Hunden nachweisen oder
widerlegen sollten. Das Hauptaugenmerk lag hierbei auf dem gegenüber den
Besitzern gezeigten Sozialverhalten von Hunden. In den Versuchsabläufen gab es
jeweils zwei Variablen: der Gehorsam und die Reaktion des Besitzers. Gehorsam
war der Hund dann, wenn er ein Lockmittel nicht aß, während der Besitzer den
Raum verlassen hatte und vorher befohlen hatte, das Lockmittel nicht
anzurühren, oder aber er aß es. Hierzu verblieb ein Helfer im Raum, der das
Lockmittel je nach Durchlauf überreichte oder es entfernte – hier wusste der
Hundebesitzer jedoch nicht Bescheid. Die
zweite Variable war die Information für den Hundebesitzer, der in den Raum
zurückkehrt. Hier wurde in den Testläufen vermittelt, ob der Hund das
Lockmittel gefressen hatte oder nicht, wobei der Hundebesitzer hier in den
Testläufen in bestimmten Durchgängen zu Untersuchungszwecken bewusst falsch informiert wurde. Wenn der Hund
unfolgsam gewesen war, sollte der Hundebesitzer schimpfen, war der Hund folgsam
gewesen, sollte der Hundebesitzer freundlich grüßen. Hier sollte also die
Besitzerreaktion variiert werden.
In den Ergebnissen zeigte sich, dass die Folgsamkeit des Hundes selbst keinen signifikanten Einfluss auf das
Auftreten scheinbar mit Schuld assoziierten Verhaltensweisen des Hundes hatte.
Ein deutlich signifikanter Einfluss
auf das Auftreten der Verhaltensweisen konnte jedoch durch die Besitzerreaktion
nachgewiesen werden. Die Reaktion der Besitzer wiederum hing deutlich davon ab,
was diese dachten, dass der Hund
getan hätte (es entsprach ja teilweise nicht den Tatsachen). Besonders stark
konnten scheinbar schuldassoziierte Verhaltensweisen beobachtet werden, wenn
die Hunde geschimpft wurden, ganz deutlich signifikant war das Auftreten der
Verhaltensweisen dann, wenn der Hund tatsächlich gefolgt hatte, aber trotzdem
geschimpft wurde. Die Verhaltensweisen nahmen also stark zu, wenn der Hund
keine Gelegenheit hatte, sich falsch zu verhalten, weil das Lockmittel entfernt
wurde. Die Verhaltensweisen wurden nicht
deutlich stärker gezeigt, wenn der Hund tatsächlich unfolgsam gewesen war (und
dies wäre ja eigentlich anzunehmen, wenn Hunde tatsächlich über ein schlechtes
Gewissen und Schuldbewusstsein verfügen würden), sondern immer nur in Abhängigkeit
von der Besitzerreaktion.
Dies zeigte also deutlich, dass das „Schlechte Gewissen“ und
seine äußere Erscheinung nicht von der Missetat selbst abhing, sondern
entsprechende Verhaltensweisen durch das Verhalten des Besitzers ausgelöst
wurden. Ein für Hundebesitzer erkennbares „Schuldbewusstsein“ bei Hunden könnte
im Grunde Ausdrucksverhalten sein, welches eine angstvolle Erwartungshaltung
und Assoziation mit einer Bestrafung bei der Rückkehr des Besitzers
kennzeichnet. Eine Vermenschlichung von Hunden führt besonders in diesen
Bereich zu nichts Gutem!
Hecht und Mitarbeiter haben diese Untersuchungen im Jahre
2012 weitergeführt.
Auch hier zeigte sich, dass der Großteil der Hundebesitzer
bestätigte, ihre Hunde würden in bestimmten Situationen Schuld empfinden. Die
Hundebesitzer glaubten auch, dass die Hunde wüssten, etwas „Verbotenes“ getan
zu haben. Einige der Hundehalter behaupteten, bereits beim nach Hause kommen am
Begrüßungsverhalten erkennen zu können, ob der Hund etwas angestellt habe oder
nicht.
Diese Zusammenhänge wurden mittels Fragebogen und Testreihen untersucht. Es
stellte sich heraus, dass auch hier kein Zusammenhang zwischen dem Zeigen
„schuldbewussten Verhaltens“ bei Hunden und tatsächlichem Fehlverhalten
bestand. Hunde zeigten Verhaltensweisen, die die Besitzer als „schlechtes
Gewissen“ interpretierten, unabhängig davon, ob sie tatsächlich etwas
angestellt hatten oder nicht. Es zeigte sich in dieser Untersuchung jedoch zusätzlich
bei der Analyse des individuellen Verhaltens
der einzelnen Hunde, dass Hunde etwas
mehr „schuldige“ Verhaltensweisen zeigten, wenn sie gegen eine Regel verstoßen
hatten (und diejenigen Hunde, die nicht verstoßen hatten, zeigten signifikant
weniger „schuldige“ Verhaltensweisen). Die Besitzer konnten dies scheinbar auch
im Vorfeld meist richtig erkennen. Allerdings wird hier erwähnt, dass sich die
Hundebesitzer auf „Anweisung“ eventuell anders verhalten sollten, als zu Hause
– sie sollten ihre Hunde beim Betreten des Raumes ignorieren und nicht (wie vermutlich
im normalen Alltag durchgeführt) begrüßen, was zu einem Anstieg der
submissiv-freundlich-unsicheren-ängstlichen Begrüßung geführt haben könnte. Die Studie kommt insgesamt zu dem Schluss,
dass Hunde bestimmte Verhaltensweisen in bestimmten sozialen Kontexten (z.B.
Begrüßungssituationen) unabhängig von Fehlverhalten zeigen – und, wie schon in
der Studie von Horowitz aus 2009, das Hunde das scheinbar „schuldbewusste“ Verhalten
auch zeigten, wenn sie nichts angestellt hatten.
Was ist also richtig und wichtig
für Hundebesitzer?
Wenn ein Hundebesitzer den Hund
schimpft oder von seinem Hund enttäuscht ist, weil er der Abwesenheit des
Halters etwas angerichtet hat, so wird der Hund hieraus nicht lernen, keine
verbotenen Dinge mehr zu tun! Vermutlich lernt der Hund jedoch, den Halter
weiterhin oder stärker ängstlich-unsicher-beschwichtigend und vorsichtig zu
begrüßen, um durch Kommunikation von vorneherein Aggressionen der
„Gruppenmitglieder“ abzuschwächen und für soziale Integration zu sorgen, wie es
diese Begrüßungsform bei Hunden und Wölfen beinhaltet. Manche Hunde lernen sogar, diese Verhaltensweisen zu zeigen, bevor der
Besitzer überhaupt bemerkt hat, dass der Hund etwas angestellt hat.
Wichtig ist auch, dass eine verspätete Strafe oder ein
Schimpfen etc. nie gerechtfertigt sein kann. Strafen oder Schimpfen führen oft nicht
dazu, dass weniger „Fehlverhalten“ gezeigt wird, im Gegenteil. Durch die
angstvolle Erwartung einer Strafe kann es dazu kommen, dass ein gestresster,
unruhiger Hund Dinge zerkaut und zerstört, um Stress abzubauen, weil das
angstvolle Warten auf den Besitzer, der manchmal ganz nett ist und beim andere Mal
tobt und schreit, den Hund verwirrt und noch unsicherer macht. Das Timing für
Schimpfen und Strafen ist auch denkbar schlecht, wenn es erst erfolgt, wenn man
nach Hause kommt; es hilft auch nicht, mit dem Hund z.B. zum zerkauten Schuh zu
gehen, darauf zu zeigen und dann zu schimpfen.
Und, auch sehr wichtig: wenn ein Hundehalter nicht möchte,
dass sein Hund etwas anstellt, dann wäre es doch zuerst einmal seine Pflicht,
dafür zu sorgen, dass der Hund nichts erwischt, was er kaputt machen kann. Der
Hund braucht eine Alternative zum fehlerhaften Verhalten, so dass dem Hund Objekte angeboten werden sollten, mit
welchen er sich beschäftigen darf oder die er zerkauen und zerstören kann (befüllter
Kong, Kauknochen etc.).
Es ist, zusammenfassend zu sagen, Aufgabe des Hundehalters, dass
dem Hund freundlich, entspannt und sorgfältig beigebracht wird, wie er ohne
Stress und ohne etwas zu zerstören alleine bleiben kann. Und gerade bei Hunden
mit Trennungsstress oder bei Hunden mit unvollständig aufgebauter
Stubenreinheit sind Schimpfen und Strafen besonders kontraindiziert und
ungerecht!
Literatur:
Bekoff, M., 2000: Animal Emotions: Exploring Passionate
Natures. Bioscience Vol.50 No.10; 861-870
Vollmer, P.J., 1977: Do mischievous dogs reveal their “guilt”? Vet.Med., Small
Anim.Clin. 72, 1002 – 1005
Morris,
P.H. et. al., 2008:
Secondary emotions in non-primate species? Behavioural reports and subjective
claims by animal owners. Cogn. Emotion 22, 3 - 20
Horowitz,
A., 2009:
Disambiguating the “guilty look”: Salient prompts to a familiar dog behavior.
Behavioural Processes 81, 447 – 452
Hecht,
J. et. al., 2012:
Behavioral assessment and owner perceptions of behaviors associated with guilt
in dogs. Appl. Anim. Behav. Scci . 139; 134 - 142