Freitag, 30. September 2011

Hundehaltung, Emotionen und Grenzen – wo ist eigentlich der Mittelweg?

Viele Menschen sind heutzutage nicht in der Lage, Hunde als das anzusehen, was sie sind: extrem gut an das Zusammenleben mit Menschen angepasste domestizierte Tiere, aber immer noch Hunde oder eben auch einfach nur Hunde (und definitiv keine Wölfe mehr!). Gleichzeitig sind unsere Begleiter auf uns angewiesen, uns mehr oder weniger ausgeliefert und somit sind sie auch  unsere Schutzbefohlenen – wir sind für das Wohlergehen unserer Hunde verantwortlich.

In der Hundehaltung und –erziehung findet man auf allen Seiten oft Extreme. Hunde werden wie Kinder behandelt, werden vermenschlicht und dadurch verkannt – ein Hund ist und bleibt ein Hund und kann somit nur wie ein Hund reagieren und Dinge verstehen. Zu viel Vermenschlichung verwirrt Hunde und erzeugt Probleme. Die andere Seite wiederum ist die ewig alte Dominanzleier, antike Rangordnungsgedanken, Disziplin, der Haushund als „böser Wolf“. Auch diese Fraktion sorgt für Leid bei Hunden. Ein Hund kann seinen Menschen ja nicht einfach verlassen, traurig, aber wahr.
Ein Hund ohne Grenzen und Regeln ist ebenso schlimm wie ein Hund, der nur noch Angst vor seinem Besitzer hat. Und beide „Sorten“ Hund leiden!

Im Alltag trifft man immer wieder ratlose Hundebesitzer, die durch zu viel verschiedene Informationen aus zu vielen unterschiedlichen Quellen zutiefst verunsichert sind - der eine „Experte“ rät dies, der andere das, beim Thema Hunde meist mit einer Vehemenz, dass einem Angst und Bange werden kann. Manche Hundehalter „probieren“ eine Woche lang eine Methode, dann die nächste und nächste, oft ohne sich ausreichend informiert zu haben und detailliert vorgehen zu können – der Hund hat gar keine Chance, zur Ruhe zu kommen und klare Signale zu empfangen, wenn sein Besitzer ständig die Vorgehensrichtung und sein Verhalten ändert.

Besorgniserregend finde ich, dass die „groben“ und körperlichen Methoden (Bedrohen, Zwicken, Kneifen, Anrempeln, Niederdrücken und weitere Grobheiten) leider wieder zunehmen. Liebe Leute, wenn ich in nächster Zeit noch jemanden sehen muss, der seinen Hund anzischt oder anknurrt, ihn mit dem Knie stößt, in die Flanke zwickt oder durch die Gegend schubst, dann, glaube ich, drehe ich durch. Dieses Vorgehen ist Einsatz von Bestrafung (auch wenn die Methode einen noch so beschönigenden Namen hat), die keine für den Hund in dieser Situation umsetzbare Alternative beinhaltet. Das ist natürlich einfach für diese Menschen. Man muss sich nicht detailliert überlegen, wie man den Hund zu anderen Verhaltensweisen motivieren kann – und schon gar nicht, was man als Hundehalter falsch gemacht hat. Wie, frage ich mich, kann es denn in einer guten Beziehung erst so weit kommen, dass man grob werden muss?
Es wird oft argumentiert, dass grobe Methoden angewendet werden, weil die ganze „Konditionierungsgeschichte“ ja sowieso nicht oder nur unter Laborbedingungen funktionieren würde. Mit ein wenig Ahnung wüsste man, dass auch der Einsatz von Strafe und Negativreizen nach lerntheoretischen Grundsätzen verläuft und eine Konditionierung ist. Pavlov und Skinner  kann man nicht entkommen, auch nicht, wenn man grob arbeitet. Und dieses Lernen findet auch in Feld, Flur und Alltag statt.

Wie findet man das Mittendrin? Wie zeigt man Grenzen, muss aber nicht grob werden?
Mittelweg?
Indem man sich nicht verstellen muss (der Hund merkt das sofort!), authentisch bleiben kann, den Hund als Schutzbefohlenen respektiert und sich Wissen aneignet. Über das Lebewesen, für welches man Verantwortung übernommen hat, Bescheid zu wissen und es gut zu behandeln, ist die Pflicht eines jeden Tierhalters. Das Wissen sollte auf dem aktuellsten Stand der Forschung sein. Dann wäre auch klar, dass sowohl das Umsetzen hündischer oder wölfischer Verhaltensweisen als Mensch, als auch eine Vermenschlichung des Hundes nicht der Weg sein kann. Sie sind kein Hund und kein Wolf, Ihr Hund ist kein Mensch, er weiß das.
Wissen muss manchmal angepasst werden!
Kritisch hinterfragen sollte man immer alle „Methoden“, die einen üblen Nachgeschmack hinterlassen und bei welchen man grübeln muss, ob das wohl das Richtige für sich und den Hund ist. Wenn man die Empfehlungen nicht umsetzen kann, ist es wichtig, sich dies einzugestehen und den Trainer darüber zu informieren – ein guter Trainer ist flexibel und kann das für Sie passende Vorgehen finden, ohne dass er Ihnen zu etwas rät, was Ihnen zuwiderläuft oder was Sie nicht umsetzen können – sei es, weil Sie nicht der Typ Mensch sind, sich verstellen müssten oder weil es für Ihren Hund eben nicht passt. Ein guter Trainer wird auch niemals grob gegen Ihr Tier und sollte in der Lage sein, Ihnen gewaltlose Mittel an die Hand zu geben. Es kann nicht angehen, dass irgendjemand gegen Hunde anderer Menschen Gewalt anwendet (oder diese anrät). Da sollten doch, bei gesundem Menschenverstand, alle Alarmanlagen angehen! Wie würden Sie reagieren, wenn jemand gegen Ihr Auto rempelt oder Ihnen anrät, Ihr Kind oder Ihren Partner zu zwicken oder auf den Boden zu drücken?

Eindeutige Grenzen und klare Kommunikation sind natürlich nötig – Grobheiten, aber auch Vermenschlichung sind völlig unnötig. Mit „Grenzen setzen“ ist nicht das Schubsen, Zwicken oder anderweitige Strafen von Hunden gemeint, wie es landläufig so schnell verstanden wird.

Grenzen oder Regeln müssen vom Hund (und vom Menschen) individuell umsetzbar sein sowie willentlich eingehalten werden können. Allerdings muss man auch in der Lage sein, situationsangepasste Forderungen zu stellen – das ist der Knackpunkt. Menschen verlangen Dinge, die der Hund in dieser Situation nicht oder noch nicht leisten kann.
Verhalten, das angeboren und instinktiv ist, wie beispielsweise Jagdverhalten, ist für den Hund kaum willentlich steuerbar, eine „Unterlassung“ kann demnach nur schwer aktiv und bewusst von Seiten des Hundes eingefordert werden. Auch die ablaufende Reaktionskaskade des Körpers bei angstmotiviertem Verhalten oder anderen starken Emotionen kann vom Hund (und auch von uns Menschen) nicht willentlich gesteuert werden – wenn Sie Angst haben oder Wut empfinden, dann können Sie dies nicht so einfach abstellen. Ein „Grenzen setzen“ in höchst emotionalen Situationen ist also kaum problemlos möglich, schon gar nicht, wenn die „Grenze“ durch Grobheiten gesetzt wird. Bei allen Grenzen ist es unabdingbar, sich Gedanken zur Motivation des Hundes zu machen, sonst ist es absurd, sie erst zu setzen, wenn der Hund bereits im autonomen emotionalen Reaktionsbereich ist.
 Auch der Hundehalter ist manchmal überfordert: wenn er in dem Moment, in welchem er etwas vom Hund verlangt, dieses nicht wirklich will bzw. verinnerlicht hat (oder nur tut, weil es bei XY auch geklappt hat etc.), ist er nicht „ehrlich“ – Hunde können das schnell feststellen. Er / Sie ist also schlicht nicht authentisch und somit keine Leitfigur oder Führungspersönlichkeit für den Hund. 

Konsequenz und klare Kommunikation sind immens wichtig, aber der Begriff Konsequenz beinhaltet nicht Körperlichkeiten, Strenge und Druck , sondern bezieht sich auf Klarheit und Verlässlichkeit – Sie sollten für Ihren Hund immer und überall dieselbe Person sein und eindeutig kommunizieren, Ihre Regeln und Signale sollten immer und überall gleich gelten – das geht sehr wohl auch freundlich und ruhig! Auch Einschränkungen können und sollen situationsbezogen freundlich-neutral gesetzt werden, zum Beispiel über Misserfolg in dieser Situation bzw. ein Ausbleiben des Erfolges – der Hund soll schlicht nicht „zu Potte“ kommen.

Der ideale Weg wäre, in Situationen, die kritisch sind, ruhig und besonnen zu reagieren (ohne Gewalt) und zunächst außerhalb der Extremsituation an einer Verhaltensänderung zu arbeiten. Gleichzeitig sollte tagtäglich, so oft es möglich ist, wahrgenommen werden, wenn der Hund etwas richtig macht. Richtiges Verhalten sollte dem Hund durch Lob und Anerkennung mitgeteilt werden. Wie ist Ihr Verhältnis von Einschränkung zu Bestätigung? Wie oft loben Sie, wie oft verbieten Sie? Wenn Sie mehr verbieten müssen, als Sie bestätigen können, können Sie und Ihr Hund nicht zufrieden sein.

Machen Sie sich und Ihrem Hund nicht das Leben schwer, indem Sie permanent nur das Fehlverhalten wahrnehmen, dieses „korrigieren“ und den Hund daran messen. Der Gute weiß nämlich nicht, was in Ihren Augen das „richtige“ Verhalten ist – helfen Sie ihm, indem Sie es gleich wahrnehmen und loben oder ihn anleiten und ihm freundlich zeigen, was Sie sehen wollen. Sonst muss er in Ermangelung von Möglichkeiten – er hat ja von sich aus oft keine gute Alternative zur Hand (Ihr Hund verfügt nicht über ein so hoch spezialisiertes Gehirn wie Sie) – den Fehler immer wieder machen. Und glauben Sie mir, wenn Sie und Ihr Hund eine wirklich gute Beziehung haben, müssen Sie ihn nicht körperlich angehen.
Ihr Hund wird Sie lange Zeit begleiten und es ist wichtig, dass Sie ein gutes Team sind, Ihr Hund sich auf Sie verlassen kann, sich an Ihnen orientiert und gerne mit Ihnen zusammen ist und arbeitet. Auch Sie sollen Freude am Umgang mit Ihrem Hund haben – deshalb wurde er doch angeschafft und nur so können Sie wirklich „führen“.

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