In Internetforen und anderen sozialen Medien kann immer
wieder gelesen werden, dass gut trainierte Hunde, die über Lob und Belohnung motiviert werden, zu „hirnlosen Reiz-Reaktions-Maschinen“ gemacht werden
würden und Besitzerinnen und Besitzer dieser Hunde alles kontrollieren müssten
– der Hund dürfe nicht mehr Hund sein. Alle „Natürlichkeit“ sei verloren
gegangen.
Wenn man weiterliest, schleicht sich ganz schnell der
Verdacht ein, dass Menschen, die so argumentieren, eine Rechtfertigung dafür
suchen, dass einerseits noch der „Rudelführergedanke“ in den Köpfen
herumschwirrt und andererseits, dass hier doch gerne mal mit Verhaltenshemmung
über Aversion "trainiert" wird. Ein weiterer Verdacht keimt auf, liegt hier vielleicht ein wenig eigene Trainingsmüdigkeit
oder gar Verantwortungslosigkeit vor? Meist kommt dann irgendwann auch die alte
Leier „ich konditioniere nicht, ich kommuniziere“ bzw. die Unkenntnis von
Basiswissen über das Lernverhalten des Hundes. Hand in Hand mit der Phrase „den
Hund einfach mal Hund sein lassen“ werden meist auch solche Allgemeinplätze wie
„das regeln die schon unter sich“ und „Hunde sind ja auch nicht gerade
zimperlich untereinander, die können das schon ab“ geäußert.
Hat ein Hund mehr Vorteile davon, wenn er nicht häufig trainiert und nur dann, wenn es „nötig“ scheint, über Verhaltenshemmung mit unangenehmen Reizen gestoppt wird oder wenn alle im Alltag notwendigen Dinge bereits aufgebaut und anwendbar sind, also trainiert wurden? Das ist zwangsläufig ja mit mehr Arbeit verbunden und lässt den Besitzer vielleicht wie einen „Kontrollsüchtigen“ und die Hunde für das Auge eines Laien willenlos erscheinen – also wie „Reiz-Reaktions-Maschinen“.
Kommt man ebenso problemlos durch den Alltag, wenn nicht
häufig (und wenn, dann meist über Hemmung) mit Hunden trainiert wird und man
den Hund sich sonst einfach überlässt? Möchte ein Hund denn in Situationen, die
ihn überfordern, nicht von seinem Menschen gesagt bekommen, was er tun soll?
Eine ganz grundlegende Frage ist doch, ob eine „natürliche“
Hundehaltung heute überhaupt noch möglich ist und ob Hunde sich denn nicht als
Begleiter des Menschen, in hohem Maße auf Kooperation mit uns ausgerichtet,
entwickelt haben und gerade dann besonders gut „Hund“ sein können, wenn sie
häufig trainiert und gefördert werden? Was macht einen Hund als Hund aus?
Es würde mich sehr interessieren, wo ein Hund heutzutage
noch „einfach mal Hund“ sein kann, außer in weiter Flur oder in den eigenen vier
Wänden (und selbst hier geht es nicht immer)? Wo bin ich als Halter denn nicht
verantwortlich, für die Dinge, die mein Hund anstellt und anstellen darf? Wo
kann ich ohne Rücksichtnahme auf Menschen, Hunde und andere Tiere mit dem Hund
unterwegs sein?
Wir haben als Hundehalter heute so viele Auflagen und Gesetze, dass wir unseren Hunden in der Öffentlichkeit eben kaum ein „einfach nur Hund sein“ mehr gönnen können.
Die Ironie hierbei ist, dass viele Regelungen und Gesetze
wegen Menschen aufgestellt wurden, die ihre Hunde eben einmal zu oft „Hund
hatten sein lassen“.
Ein Hund darf heute nicht mehr jagen und hetzen, er darf nicht einfach herumlaufen und Hunde, Menschen oder andere Tiere belästigen, bedrängen oder gefährden, man kann nicht zulassen, dass einander fremde Hunde Dinge unter sich ausmachen (was sie auch nicht können!) – das geht einfach nicht. Selbst beim Fortpflanzungsverhalten lässt man Hunde eben nicht Hund sein, auch diejenigen, die sich auf diesem Begriff „ausruhen“ und "Natürlichkeit" im Hundetraining propagieren.
Und wie schnell werden heute Situationen, die mit einem einfachen, ruhigen Gespräch und ein wenig gegenseitiger Rücksichtnahme gut zu klären gewesen wären, über das Ordnungsamt, eine Anzeige und den Anwalt abgewickelt?
Hunde sind keine Wölfe mehr, es sind Hunde.
Warum sollten Hunde mit allen (nicht verwandten und selten
in einem Haushalt lebenden) anderen Hunden auskommen und es „unter sich regeln“?
Und überhaupt, was sollen sie
untereinander regeln? Eine „Rangordnung, die es in der Form gar nicht geben kann, aufbauen?“ Mit fremden Hunden? Wofür, wenn man nicht tagein, tagaus Zeit
mit diesen Hunden verbringen muss? Finden Sie jeden Menschen, den Sie treffen,
sympathisch und wollen sich mit ihm arrangieren?
Vor allem die Hunde, die keine Sozialisierung genossen haben
und mit Artgenossen nicht auskommen, wie und wo sollten diese Hunde einfach
Hund sein dürfen, manchmal sogar bei Besitzern, die oft nicht erkennen, dass
ihr Hund gerade im Begriff ist, andere Personen, Hunde oder Tiere zu bedrängen
und zu bedrohen? Gerade hier ist es sinnvoll, den Hund so zu trainieren, dass
Gefahren vermeidende Verhaltensweisen parat sind, wenn man sie braucht.
Ganz ehrlich, mir sind Hundebesitzer mit gut trainierten
Hunden, die auf andere Rücksicht nehmen (und dabei gerne auch wie Roboter
wirken dürfen), allemal lieber als Menschen mit „Tutnixen“ oder „Deristhaltdominant-en“,
die ihren Hund unabsichtlich konditioniertes (jawohl, konditioniert, denn auch „soziales
Lernen“ unterliegt den Lerngesetzen und ist somit konditioniert, wenn auch ohne
menschlichen Einfluss!) „unhöfliches“ Verhalten abspulen lassen, damit er „mal
Hund sein kann“, weil, „die regeln das ja unter sich“.
Ich bin mir sicher, dass auch Sie bereits solche Erlebnisse
hatten und denke auch, dass Sie sich bestimmt schon einmal über rücksichtslose
Hundebesitzer geärgert haben. Wenn Dritte beteiligt sind, sollte es sich mit
dem „Hund sein lassen“ eigentlich ganz schnell aufhören.
Gut trainierte Hunde wirken bestimmt ein wenig wie funktionierende
Maschinen, insbesondere dann, wenn sie bestimmte Verhaltensweisen, die mit
Umweltreizen gekoppelt sind, unaufgefordert zeigen und man kann natürlich auch ein
gutes Training übertreiben.
Es gibt im Alltag Momente, in welchen man sauer auf den Hund
ist oder sich sehr freut, diese Momente sind wichtig und gehören außerhalb des
Trainings unbedingt dazu. Im Aufbau und beim Üben von Signalen ist jedoch ein
klares, konkretes und möglichst nicht emotional beladenes Handeln des Menschen für
den lernenden Hund wichtig. Diese Neutralität aber sorgt für die ein wenig
roboterhafte und kontrollierte Wirkung.
Manchmal muss ich meine Kunden bitten, ein wenig im Training
zurück zu rudern. Es steht außer Frage, dass auch zu viel trainiert werden kann
und ein Hund hierdurch überfordert und überlastet wird. Gutes und fundiertes
Training findet aber die Balance zwischen sinnvollen Signalen, Auslastung und
Entspannung, denn auch das Entspannen und Nichtstun muss erlernt und geübt
werden. Ganz allgemein denke ich und sage auch, dass es Tage und Momente gibt und geben
muss, an welchen eben nicht trainiert werden kann oder soll. Da kann man zu
Hause kuscheln, draußen einfach spazieren gehen oder die Seele baumeln lassen.
Sobald aber andere Hunde, Menschen oder Tiere (z.B. Wild) durch Gedankenlosigkeit oder mangelnde Rücksichtnahme belästigt oder gefährdet werden, muss der Hund kontrolliert werden können. Und hier ist es bestimmt für den Hund angenehmer, wenn er weiß und gelernt hat, was er tun soll, und sei es nur, auf seinen Besitzer zu sehen, um weitere Infos zu bekommen. Das alles möglichst vorher aufgebaut durch Lob und Belohnung, um es bei Bedarf einsetzen zu können, ist für einen Hund bestimmt angenehmer, als geblockt, ge“kscht“tet oder gestraft zu werden, wenn er etwas falsch macht.
Es ist auch fraglich, ob ein Hund, der zu viele Freiheiten hat, glücklicher und mehr Hund ist, als ein trainierter Hund, der ein geübtes Verhalten zeigt. Die meisten Hunde sind durch zu viele Freiheiten überfordert, bekommen dann kein Feedback vom Menschen, treffen die falschen Entscheidungen und werden oft selbst gefährdet. „Mehr Hund“ mit dem Risiko, unangemessenes Verhalten zu lernen und ständig in Konfrontationen zu geraten? Welches Leben ist stressfreier?
Alle diejenigen, die immer von „Bindung und Beziehung statt
Training“ und „Kommunizieren statt Konditionieren“ reden, sollten sich doch
bitte überlegen, was es für eine Bindung oder Beziehung ist, bei welcher ein
Part keinerlei Entscheidungsmöglichkeit hatte, ob er diese Beziehung eingehen
möchte und ob man nicht gerade deshalb als Mensch in der Pflicht ist, mit dem
Hund freundlich zu trainieren, statt zu hemmen. Klar, auch der gut trainierte
Hund kann es sich meist nicht aussuchen, bei wem er lebt, aber er hat einen
menschlichen Partner, der sich die Mühe macht, vorauszudenken und zu planen, um
nicht grob zu werden – Grobwerden führt meist nicht zu einem Lerneffekt.
Meine persönliche Reiz-Reaktions-Maschine „lacht“ übrigens
bei meinen „Kontrollambitionen“, hat offensichtlich Spaß dabei und bietet sogar
– erkennbar mitdenkend, also mitnichten hirnlos – selbständig und kreativ Verhalten
an. Und das besonders deutlich, wenn ein Clicker mit im Spiel ist.
Abschließend möchte ich sagen, dass ein Training, welches überwiegend
die Komponente Lob und Belohnung beinhaltet, nicht über Zwang und Druck
vermittelt werden kann. So trainierte Hunde werden nicht gezwungen und sind
keine willenlosen Maschinen, denn genau diesen Kadavergehorsam möchte ein guter
Trainer nicht haben, sondern einen Hund, der Verhalten anbietet, mitdenkt und
kreativ ist.
Die Frage, wann ein Hund denn Hund sein kann, muss leider
jeder für sich selbst beantworten. Ich denke jedoch, dass eine gesunde Balance
zwischen Trainieren und Trainingspausen sehr wichtig sind. Ein Aufbau von
Signalen, die in Alltagssituationen nötig sind, sollte jedoch so erfolgt sein,
dass sie abrufbar sind. Das macht Arbeit und bedingt eben auch eine gewisse
Reiz-Reaktions-Verknüpfung, hilft einem Hund aber ungemein. Und dies wiederum sollte immer in Ruhe konditioniert und nicht im Stress "kommuniziert" werden.
Allen Hunden und Hundebesitzern wäre bestimmt am meisten
geholfen, wenn wir gegenseitig rücksichtsvoller wären und uns nicht stets via
Internet und vielleicht auch via Anwalt bekriegen und schädigen würden. Einfach
auch im Sinne unserer Hunde.
Allen Lesern übrigens noch beste Wünsche für das neue Jahr!