Donnerstag, 29. März 2012

Wie lernen Hunde - wie trainiere ich richtig?


Lernen ist eine Reaktion eines Lebewesens, die dazu führen soll, bestimmte Situationen so optimal wie möglich zu gestalten (also mit dem größten individuellen Nutzen für das Lebewesen) – es ist im engeren Sinne immer eine Anpassung an Gegebenheiten, die durch Verhalten und Verhaltensveränderungen erreicht wird. Lebewesen lernen nicht, um anderen zu gefallen, sondern immer nur für sich selbst! Wer zum Thema Motivation genauer nachlesen möchte, kann dies hier tun.

Lernen findet immer statt, in jedem Moment des Lebens – Voraussetzungen sind bei den meisten Hunden gegeben: Gehirn, Augen, Ohren, Nase und andere Sinnesorgane sowie Muskulatur, um das Verhalten auszuführen. Wie wir Menschen lernen Hunde auch außerhalb gezielter Trainingssituationen, das Gehirn kennt kein „stand by“. Allerdings ist, um die neuen Informationen zu speichern und auch zu verarbeiten, immer ein Wechsel zwischen Wiederholungen und Pausen notwendig – nur dann kann die Information in das Langzeitgedächtnis „rutschen“ und durch die Wiederholungen an unterschiedlichen Orten und Zeiten gefestigt werden.


Wichtig ist generell, dass ein Hund auf Signal immer nur dasjenige Verhalten zeigen kann, das wir ihm beigebracht haben. Dass ein Hund sich so benimmt, wie wir es gerne hätten und ohne, dass wir ihn gelehrt haben, was in dieser bestimmten Situation angebracht oder erfolgsversprechend ist, ist leider Wunschdenken – Hunde bleiben Hunde, können nur wie Hunde wahrnehmen und reagieren, sie können keine Gedanken lesen und haben keine Moralvorstellungen.

Bitte halten Sie sich immer vor Augen, dass Hunde nicht über ein Sprachzentrum wie wir Menschen verfügen und dass Hunde kein Wortverständnis besitzen. Ich sage gerne, dass Hunde kein Deutsch können – damit ist gemeint, dass Hunde unsere gesprochene Sprache nicht wie wir Menschen verstehen – Worte haben für Hunde primär keine Bedeutung. Jetzt werden Sie vermutlich denken, dass die Hunde doch Kommandos befolgen können – ja, aber diese einzelnen Signale hat man (hoffentlich) sorgfältig konditioniert, sie sind mit einer Signalwirkung, wie z.B. bei uns eine rote Ampel, verbunden. Ein Wortverständnis selbst liegt nicht vor, es ist vielmehr eine Reiz-Reaktionskoppelung, die nur dann zum Erfolg für den Hund führt, wenn er das richtige Verhalten auf dieses Signal hin zeigt. Dies muss der Hund jedoch erst erlernen – dazu komme ich später. Es hilft also nicht, den Hund mit Kommandos anzubrüllen, wenn wir uns nicht die Zeit genommen haben, dem Hund beizubringen, was das Kommando bedeutet, sondern sorgt nur für Angst und Stress beim Hund. So kann er nicht lernen! 

Traurig, aber wahr (aus Sicht des Hundes):
 


Neurobiologisch kommt es im Gehirn bei Lernprozessen zu zahlreichen komplexen Verschaltungen zwischen Nervenzellen, -bahnen und Kontaktstellen und zur Beteiligung von Gehirnbotenstoffen und eventuell Hormonen etc. Es kommt also zu einem Umbau von Strukturen, Lernen findet statt.


Hunde lernen auf mehrere Arten:

1.      Die Habituation  oder Gewöhnung

Wenn ein Reiz keine Folgen hat bzw. auf diesen Reiz keine Konsequenz folgt (egal, ob angenehm oder unangenehm), so wird sich der Hund an diesen Reiz gewöhnen und diesem speziellen Reiz keine weitere Beachtung mehr schenken. Gewöhnung ist also ein stetes Nachlassen einer Antwort auf einen Reiz, der (in diesem Falle nicht überlebensbedrohende) Reiz wird „überhört“ und dieses hat keine weiteren Konsequenzen. Habituation findet meist auf unbelebte Umweltreize hin statt – würde der Hund jedes Mal auf das laufende Radio oder auf den laufenden Fernseher reagieren, käme es rasch zur Reizüberflutung. Auch wir Menschen sind an Umgebungsreize gewöhnt. Es wäre fatal, wenn jeder Reiz zu einer Wahrnehmung bzw. Reaktion führen würde – wir (und auch die Hunde) würden wahnsinnig werden. Deshalb ist Habituation gut und notwendig, sie ist eine Sparmaßnahme des Gehirns und findet ohne direkte bewusste Wahrnehmung statt (und ist durch den Hund selbst nicht zu steuern). Natürlich dürfen die Reize für eine Gewöhnung nicht allzu auffällig sein oder gar als bedrohlich wahrgenommen werden und sie müssen häufig und wiederholt präsentiert werden (im Idealfall unterhalb der Reaktionsschwelle).
Vorsicht, ein Hund kann sich auch an ständig wiederholte Kommandos gewöhnen (erlernte Irrelevanz), wenn diese Kommandos zum stetigen Hintergeräusch werden oder ständig wiederholt werden, ohne dass das entsprechende Verhalten oder eine Konsequenz (hiermit ist nicht STRAFE gemeint!) folgt. Prädestiniert hierfür ist der Rückruf – in meiner Hundeschule legen wir immer besonderen Wert auf einen korrekten und sicheren Rückrufaufbau - ohne gelernte Irrelevanz.

2.      Die Sensibilisierung

Bei einer Sensibilisierung kommt es nicht zu einer Gewöhnung an einen Reiz. Das Individuum hat diesen Reiz als bedrohlich oder gefährlich eingestuft – die Reizantwort wird verstärkt, es kommt eben nicht zur Gewöhnung, sondern meistens zu Angstreaktionen. Auch primär neutrale Reize können in einer als äußerst unangenehmen oder Angst auslösenden Situation so verknüpft werden, dass sie zu übersteigerten Reizantworten führen. Dieser Prozess findet nicht willentlich statt und ist vom Hund selbst nicht zu beeinflussen. Meist liegen erhöhte Erregungslagen vor, so dass das Lernen in solchen Situationen stark eingeschränkt ist. Ein Grund, weshalb ich externe Termine in sehr stressreicher Umgebung (Bahnhof, Zoo, Stadt) in der Welpengruppe, also in den für Sensibilisierung besonders empfindlichen Entwicklungsphasen, vermeide.  Meines Erachtens ist der Hundehalter immer besser beraten, die Gewöhnung an Umgebungsreize ganz individuell für seinen eigenen Welpen in seinem eigenen Alltag in kurzen Einheiten umzusetzen. In einer Welpengruppe ist das Risiko einer Sensibilisierung bei einer Reizüberflutung, die ja bei Terminen im Stadtgebiet schnell vorliegt, sehr hoch und das Training rutscht leicht in den Bereich des „floodings“ ab.

3.      Klassische Konditionierung

Kennen Sie Pawlow? Nobelpreis 1904?
Bei der klassischen Konditionierung kommt es zu einer Assoziation von Auslösereizen mit vom Hund / Lebewesen nicht bewusst zu steuernden Reaktionen (i.d.R. Reflexe) oder Emotionen. Verknüpfungsfördernd wirkt einzig die enge zeitliche Koppelung des vormals neutralen Reizes mit einem angeborenen oder reflexauslösenden Reiz, so dass der ursprünglich neutrale Reiz dann nach einigen Wiederholungen auch den Reflex oder die Emotion auslösen kann. Emotionen können somit ebenfalls klassisch konditioniert werden, auch negative Emotionen! Alle Personen, deren Hunde leinenaggressiv sind, sollten daran denken, dass der Anblick des anderen Hundes nach einigen Wiederholungen zum Auslöser einer extremen negativen Emotion werden kann, wenn die Hunde mit Körperlichkeiten und Strafen für das unangemessene Verhalten „gearbeitet“ werden – „immer, wenn ein anderer Hund kommt, tut es mir weh“…. Die klassische Konditionierung wird schnell verallgemeinert (orts- und situationsungebunden) und läuft ebenfalls nicht bewusst oder gezielt vom Lebewesen steuerbar ab.

4.      Instrumentelle Konditionierung

Die instrumentelle Konditionierung ist eine Art des Lernens, bei welchem das Lebewesen den Verlauf der Situation durch sein bewusst eingesetztes und gesteuertes Verhalten beeinflussen kann, es hat also Handlungsmöglichkeiten. Ein Verhalten kann gezeigt werden, oder auch nicht – dies ist immer abhängig von den Konsequenzen, die das Verhalten bislang hatte. Wer genauer nachlesen will, sehe unter Thorndike oder Skinner  nach.

Was der Hund hierbei lernt, wird nach der Zahl der Wiederholungen und nach der persönlichen Empfindung des Erfolges, welchen die Handlung hatte, gespeichert – bringt die Handlung Vorteile oder hat sie Freude bereitet, so wird der Hund das Verhalten wieder zeigen bzw. die Handlung häufiger ausführen. War die Konsequenz eine negative, so wird das Verhalten seltener gezeigt. Das meiste Lernen bei Hunden findet auf dem Wege der instrumentellen Konditionierung, also über Versuch und Irrtum statt. Wir Menschen können bei unseren Hunden das Verhalten gezielt verändern, indem wir die Folgen, die das Verhalten des Hundes hat, über den Einsatz von Verstärkern oder Strafen beeinflussen.

Eine Belohung ist, wenn wir dem Verhalten des Hundes in engem zeitlichen Zusammenhang:
  • etwas Angenehmes hinzufügen (=positive Verstärkung)  (Leckerli, Zuwendung, Spiel und vieles mehr. Übrigens kann nur der Hund entscheiden, was für ihn belohnend ist, das ist nicht immer deckungsgleich mit dem, was wir denken…)
  • etwas Unangenehmes entfernen (=negative Verstärkung),  der Hund verspürt Erleichterung – dies würde funktionieren, aber wir müssten die Hunde zunächst in eine Situation bringen, die so unangenehm ist, dass über das Auflösen der Situation und negative Verstärkung gearbeitet werden müsste – diese Form der Verstärkung kann nur angewendet werden, wenn der Hund sich vorher sehr schlecht fühlt und ist keine Basis für ein gutes Training und erfolgreiches Lernen (wie z. B. im Constructional Aggression Treatment, was ist wohl die vorherrschende Emotion? Pawlow ist immer mit dabei!)
Eine Bestrafung ist, wenn wir dem Verhalten des Hundes in engem zeitlichen Zusammenhang:
  • etwas Unangenehmes hinzufügen (+ Strafe), z.B. Schimpfen, Schlagen, Zwicken,  Rucken an der Leine, Kneifen etc. (der Hund lernt hierbei NICHT, was er stattdessen tun soll, sondern nur (wenn man Glück hat, lernt er überhaupt, da Lernblockade durch Angst), was er nicht tun soll. Diese Art der Arbeit belastet die Vertrauensbasis stark und ist bei einer guten Bindung des Hundes auch überhaupt nicht nötig – bitte nicht, Strafen können zur Gegenaggression führen, müssen immer stärker werden und Fehler im Timing sind hier fatal!) Es ist schon interessant, mit welchen beschönigenden Begriffen so manche Hundetrainer für den schlichten Einsatz von Aversiva arbeiten, z. B. „Arrete“ für einen Leinenruck oder Begrifflichkeiten wie Harmonie im Zusammenhang mit Kneifen und Zwicken (= Strafe) und negativer Verstärkung (Strafe hört auf)…es ist unglaublich!
  • etwas Angenehmes wegnehmen (- Strafe), z.B. unsere Aufmerksamkeit durch das Ignorieren oder eine Auszeit. Diese Methode funktioniert bei einer guten Beziehung und Bindung sehr gut und kann gezielt eingesetzt werden, ohne körperlich zu werden oder den Hund in Angst zu versetzen.
Die Verstärker müssen jeweils unmittelbar auf das Verhalten folgen, sonst kann der Hund den Zusammenhang nicht erkennen. Im Idealfall schafft man es in einer halben bis einer Sekunde, alles andere kann schon zu spät sein bzw. in zwei Sekunde macht der Hund schon wieder etwas anderes und wir verstärken das falsche Verhalten.

Achtung, diese Art des Lernens findet immer situativ statt, es muss verallgemeinert werden – Hunde lernen immer orts- und situationsbezogen. Deshalb kann einerseits nicht ausgeschlossen werden, dass der Hund etwas, was er in diesem Moment sieht oder hört in das Training mit verknüpft (ist besonders beim Strafeinsatz, z. B. bei Leinenaggression von Bedeutung) und andererseits muss das Trainierte an verschiedenen Orten, zu unterschiedlichen Zeiten und in verschiedenen Situationen wiederholt werden.Weiterhin sind die Ablenkungen im Training nur langsam zu steigern und der Belohnungsrhythmus muss nach der Festigung variiert werden. Wie dies am besten umzusetzen ist, erkläre ich im Basisintensivkurs meiner Hundeschule.

5.      Lernen durch Beobachtung / Nachahmung und durch Stimmungsübertragung

Hierzu wird es in einiger Zeit einen gesonderten Blogeintrag geben.

Was muss also beachtet werden, wenn man effektiv mit Hunden trainieren will?
  • Belohnen Sie das, was Sie sehen möchten, möglichst zeitnah (0,5 bis eine Sekunde).
  • Zeigt Ihr Hund von Ihnen nicht erwünschtes Verhalten, so sollten Sie dies entweder zeitnah neutral korrigieren (Signal wiederholen) oder komplett ignorieren (nicht ansehen, nicht anfassen, nicht ansprechen – besonders wirksam bei Aufmerksamkeit forderndem Verhalten)
  • Bitte vermeiden Sie den Einsatz von Strafen, wer genauer nachlesen möchte, kann dies in meinem Blogarchiv tun – ich habe bereits über Motivation und Strafe geschrieben.
  • Die Ablenkung nur langsam steigern, unterschiedliche Orte, Zeiten und Situationen in das Generalisationsschema einbringen (Ihr Hund kann das Verhalten nur in denjenigen Situationen / Orten ausführen, an welchen Sie es mit ihm gelernt und geübt haben)
  • Die Feinheiten zum Kommandoaufbau (Hörzeichen, Sichtzeichen) und die genaue Technik in einer guten Hundeschule erlernen
  • Denken Sie an die Gewöhnung! Bitte wiederholen Sie die Signale nicht ständig (gelernte Irrelevanz) oder Sie bringen Ihrem Hund so versehentlich bei, dass das Kommando immer erst fünfmal gesagt werden muss, er lernt dies als komplettes Signal….Geben Sie das Kommando nach einer deutlichen Pause (10 Sekunden) erneut und markieren Sie das Nicht-Ausführen des Kommandos zeitnah mit einem „Fehlersignal“ (Basiskurs)
  • Wenn Sie sich sicher sind, dass Ihr Hund sie sowieso nicht wahrnimmt, geben Sie auch keine Signale (Gefahr der Habituation), sondern machen Sie auf sich aufmerksam, ohne Kommandos zu rufen!
  • Wenn der Hund ein Signal nach Beachtung der oben angegebenen Regeln nicht befolgt, so ist er nicht dumm oder hat einen Dickkopf, sondern er hat das Signal vermutlich noch nicht verinnerlicht (zu selten trainiert, Fehler des Hundehalters), die Folge des geforderten Verhaltens war bislang nicht so gut, als dass sie die Motivationslage des Hundes beeinflussen konnte (Belohnungsqualität und -technik an Schwierigkeitsgrad anpassen, Fehler des Hundehalters) oder er kann es im Moment aus körperlichen Gründen nicht ausführen / die Situation lässt es für ihn als Hund nicht zu (z.B. ein geforderter Rückruf, wenn der Hund sich gerade in passiver Demut gegenüber einem anderen Hund befindet).
  • Lassen Sie sich in einer guten Hundeschule zu effektivem Training beraten, es kann so einfach sein!

Freitag, 2. März 2012

Pubertät bei Hunden oder "Wegen Umbau vorübergehend geschlossen"

Aktuell sind wieder zwei Aufbaukurse in meiner Hundeschule gestartet. Das Besondere an diesen Kursen ist, dass nahezu alle Hunde in einer ganz bestimmten Entwicklungsphase stecken: der Pubertät oder, wie so mancher Hundebesitzer es nennt, der „Flegelphase“. Ich möchte heute für die „Halbstarken“ in die Bresche springen und ein paar Erklärungen zu dieser schwierigen Zeit liefern.

Leider gestaltet sich in diesem Abschnitt ein kontinuierliches Training mit Hunden etwas schwieriger als in anderen Entwicklungsphasen und gerade hier werden besondere Anforderungen an den Halter und dessen Nervenkostüm gestellt. Aus Sicht des Hundes ist diese Zeit jedoch genauso verwirrend und anstrengend, was aber oft nicht so zu erkennen ist – das macht diese Phase für alle Beteiligten etwas unangenehm. Natürlich gibt es auch Hunde, die problemlos bzw. ohne dauerverärgerten Besitzer alle Entwicklungsphasen durchlaufen, aber Ottonormalhund kommt irgendwann einmal in die Chaosphase – das ist ganz normal.
Mit den Nerven am Ende....
Erinnern Sie sich noch an Ihre eigene Pubertät?
Ich glaube, ich war ziemlich schrecklich, aber zu keinem Moment bewusst und mit Absicht so unzurechnungsfähig….
Genauso geht es den Hunden: mit einem Mal sind sie nicht mehr in der Lage, einfachste Kommandos zu befolgen, sie „prollen“ andere (meist gleichgeschlechtliche) Hunde an, sie reagieren nicht mehr auf Signale des Besitzers (das Fatale daran ist, dass positive Methoden scheinbar nicht mehr so schnelle Erfolge oder zumindest nicht mehr so einfache Erfolge bringen und so mancher Halter leider versucht ist, aversive Trainingsmethoden einzusetzen!) und testen Grenzen und die Stabilität dieser Grenzen aus. Alles nicht mit bösen Absichten, auch wenn sich der Hundehalter oft gezielt provoziert fühlt. Dieses "forsche" Verhalten zur sozialen Reifung ist biologisch und medizinisch gesehen eine Notwendigkeit für den Hund (und für heranreifende Menschen). Es passiert nichts aus Gehässigkeit oder Boshaftigkeit, sondern schlicht, weil das „biologische Programm“ des pubertierenden Hundes es so vorschreibt. Und, wenn man sich an seine eigene Zeit zurückerinnert –in dieser Zeit ging es bei uns Menschen auch häufig um Reaktionen der Umwelt auf das eigene Verhalten, an welchen man sich orientieren konnte. Alle Säugetiere testen ihre Wirkung und Handlungsspielräume aus und suchen Feedback von der Umwelt, Unterschiede in der Intensität  entstehen durch die individuellen Fähigkeiten, mit Frustration bzw. den Antworten umzugehen. 

Leider ist  der Kontrast zwischen dem Verhalten des bis dato folgsamen, artigen und lernwilligen Junghundes und dem Verhalten des pubertierenden Querkopfes oft sehr hart und schockiert so manchen Hundebesitzer. Aber: der Hund durchläuft eine Phase mit starken körperlichen und auch psychischen Veränderungen, die Ursache für die, sagen wir mal beschönigend, Unannehmlichkeiten sind. In den Kursen sage ich immer gerne, dass wir den Hunden Schilder über die Stirn hängen sollten, auf welchen steht: „Wegen Umbau vorübergehend geschlossen!“ Und es ist tatsächlich so, mehr dazu später.


Die Pubertät beginnt typischerweise mit dem Einsetzen der Geschlechtsreife, je nach Hunderasse zwischen vier Monaten bei den kleineren Rassen und neun bis zehn Monaten bei den größeren Rassen und dauert bis zum Erreichen der Sozialen Reife mit 1,5 bis 3,5 Jahren (bei Riesenrassen). In dieser Phase kommt es einerseits zur beginnenden Wirkung von Geschlechtshormonen (der Organismus sowie der Stoffwechsel muss sich umstellen, die Regulation der Funktionskreise funktioniert noch nicht) und andererseits auch zu Verhaltensveränderungen – die Hunde werden autonomer und unterscheiden in dieser Zeit verstärkt zwischen Freund und Feind, sowohl gegenüber Menschen als auch Hunden. Ressourcen werden wichtiger und mitunter verteidigt. Die Hunde lösen sich ein wenig von den Besitzern, gleichzeitig müssen sie die bislang erlernten Regeln der Kommunikation einhalten und respektieren. Die Hunde ordnen sich in dieser Zeit sozial ein und etablieren soziale Beziehungen. Besonders für Fehler empfindliche und empfängliche Bereiche sind das Angstverhalten, Trennungssituationen, Jagdverhalten, die Ressourcenverwaltung und Aggressionsverhalten (Distanzierung, territorial, inner- und zwischenartlich). 

Du kommst hier nicht rein!
Neurophysiologisch gesehen kommt es zu Umstrukturierungen und vorübergehenden Veränderungen im Hundegehirn. Durch den Hormoneinfluss zirkuliert vermehrt Dopamin (ein Botenstoff im Gehirn), dadurch ändern sich Wahrnehmung, Aggressionsverhalten sowie Erwartungshaltung und motorische Aktivität – alles wird im Sinne einer Steigerung verändert. Es kommt zur zunehmenden Sensibilisierung auf optische, akutstische sowie belebte und unbelebte Reize – hier können bereits einmalige negative Erfahrungen Veränderungen im Verhalten mit sich ziehen. Eigentlich sind pubertierende Hunde wie rohe Eier….

Im Gehirn selbst finden Umbauprozesse, aber auch Abbauprozesse statt. Nicht benötigte oder genutzte Verbindungen werden „gekappt“, um die Effizienz der Gehirnleistung zu erhöhen. Ein im Umbau begriffener Bereich ist natürlich weit stressempfindlicher, jugendliche Menschen und auch Hunde weisen generell erhöhte Konzentrationen an Stresshormonen im Blut auf.

Gehirnbereiche, die für Emotionen und Reaktivität zuständig sind, sind in dieser Phase durch den unter dem Einfluss der Geschlechtshormone entstehenden Umbau viel sensibler, so dass Wahrnehmung, Reaktionen und Erregungslagen sich verändern. Die Hunde sind dadurch sehr anfällig für Angst- oder Aggressionsprobleme. Gleichzeitig sind gerade die Bereiche der Großhirnrinde, die für strukturiertes und überdachtes Vorgehen zuständig sind, vorübergehend ein wenig lahm gelegt – das Gedächtnis und auch die Wahrnehmung leidet. Insgesamt sind Hunde in dieser Zeit sehr leicht ablenkbar, können sich nicht lange und gut konzentrieren, sind schneller aufgeregt / reagieren leichter auf Reize und reagieren meist sehr emotional und kaum rational.
Es finden sich also einige Erklärungen, warum in dieser Zeit manchmal „gar nichts mehr geht“, gut gelernte Signale nicht mehr funktionieren und warum man zwischendurch Zerberus himself an der Leine hat….

Spielpartner werden genau ausgewählt, Spiel ist körperbetonter.
In dieser Phase haben Sie als Hundehalter eine wichtige Aufgabe im Hinblick auf die weitere Entwicklung Ihres Hundes: Sorgen Sie für Kontinuität durch ruhige, stete und gleichförmige Reaktionen von Ihrer Seite – Ihr Hund will sich genau jetzt sozial „einsortieren“. Die meisten Hunde neigen in dieser Phase zu Aufmerksamkeit forderndem Verhalten und somit auch zur häufigerem Fehlverhalten, weil dieses leider schneller und leichter von uns Menschen  wahrgenommen wird – bitte vergessen Sie dabei nicht, dass jedes Verhalten des Hundes, welches eine Reaktion von Ihnen erzeugt, verstärkt wird, sogar wenn Ihre Reaktion ein Schimpfen ist. Sie sollten ganz ruhig und neutral über Ihr Feedback („ja oder nein“) für Aktionen des Hundes arbeiten. Unangemessenes Verhalten sollte keine Reaktion erzeugen (bzw. durch vorausschauendes Handeln und  Management verhindert werden), angemessenes Verhalten hingegen sollte deutlich honoriert werden. Wir Menschen neigen dazu, unangenehme und negative Ereignisse stärker wahrzunehmen. Das ist jedoch nicht zuträglich, besser achten Sie verstärkt auf erwünschtes Verhalten und loben und belohnen dieses zeitgerecht und sooft es geht. 

Trainieren Sie geduldig und kontinuierlich weiter, es ist wichtig, gerade jetzt nicht aufzugeben. Sie sollten freundlich und bestimmt mit Ihrem Hund arbeiten. Lassen Sie sich nicht zu Grobheiten hinreißen - die Natur hat uns Menschen glücklicherweise mit Daumen ausgestattet, durch welche wir alles, was dem Hund wichtig ist, verwalten können und  uns auch mit einem hochspezialisierten Gehirn bedacht. Alleine dadurch sind wir Menschen gegenüber den Hunden in einer souveränen Position. Ein gutes Leitbild hat übrigens besondere soziale Fähigkeiten und ist keinesfalls grob, ungehalten oder setzt Gewalt ein - hier gäbe es keine freiwilligen Gefolgsleute. Also, bleiben Sie am Ball und haben Sie Geduld!

In der Pubertät des Hundes ist von besonderer Bedeutung, dass dem Hund vermittelt wird, dass er sich sowohl auf Sie verlassen kann und Ihnen gleichzeitig auch vertrauen kann. Vermeiden Sie aversives Training, das bringt Sie und Ihren Hund nicht nach vorne und kann zu einer dauerhaft beeinträchtigten Beziehung bis hin zur Traumatisierung beitragen! Ihr Hund muss wissen, dass er sich (für seine eigene Sicherheit) auf Sie verlassen kann und das kann er nicht, wenn Sie ihm Angst machen oder ihn mit Körperlichkeiten und Anschreien zum Meideverhalten (in schlimmsten Fällen zur Abwehr) zwingen.

Hilfreiche Tipps:
-        Hunde sollten lernen, sich an Ihnen zu orientieren und nachzufragen: fördern Sie die Rückorientierung auf Sie und suchen Sie gezielt nach angebotenen Verhaltensweisen, die Sie dann loben und belohnen sollten, z. B. Sie anzusehen. Steigern Sie die Anforderungen langsam, achten Sie darauf, ob Ihr Hund nicht bereits schon bei aufregenderen Reizen bei Ihnen "nachfragt". Geben Sie Feedback!
-         Loben Sie verstärkt ruhiges und angemessenes Verhalten, loben Sie Kooperation.
-    Aufmerksamkeit als Bereitschaft, mit Ihnen zusammen zu arbeiten, können Sie sehr schön fördern. Hierzu sollten Sie auch freiwillige Aufmerksamkeit des Hundes wahrnehmen, loben und können dies auch belohnen. Jedes Verhalten, das Sie fördern, wird häufiger gezeigt, wenn es aus Hundesicht gute Konsequenzen hat!
-        Ignorieren Sie unerwünschte Verhaltensweisen, die Ihr Hund einsetzt, um Ihre Aufmerksamkeit zu bekommen, kurzfristig bzw. sorgen Sie für sinnvolle Managenmentmaßnahmen, bevor Ihr Hund Fehlverhalten zeigt. Dauerignorieren ist keine Lösung und das kurzfristige Ignorieren hilft nur bei Verhaltensweisen, die Ihr Hund einsetzt, um Ihre Aufmerksamkeit zu bekommen.
-         Wenn Ihr Hund durch irgendein anderes Verhalten als gutes Verhalten Ihre Aufmerksamkeit erringen möchte, sollten Sie diese Verhaltensweisen kurzfristig (auf Signal hin) ignorieren. Sorgen Sie parallel hierzu schnell für Möglichkeiten, erwünschtes Verhalten zu verstärken. Vor allen Aktionen ist es wichtig, dass Sie die Aufmerksamkeit Ihres Hundes erhalten.
-          Ihr Hund bekommt jederzeit eine „zweite Chance“, aber erst, wenn er Ihnen Aufmerksamkeit schenkt (er sollte wirklich "da" sein und bereit, mit Ihnen zu arbeiten) oder wenn er wieder zugänglich ist (Situation verändern, durchatmen, neuer Versuch).
-          Befolgt der Hund ein Signal nicht, können Sie ihm eine zweite Chance geben. Bitte warten Sie einen kleinen Moment (um das Signal nicht durch zahlreiche Wiederholungen zu "vergiften") und geben Sie es dann, wenn Sie die Aufmerksamkeit des Hundes haben. Manchmal muss man hierzu die Situation ein wenig verändern, also ein paar Schritte mit dem Hund weggehen und das Signal dann wiederholen.
-          Sie verwalten die Spielsachen zu gemeinsamem Spiel sowie das Futter ihres Hundes und haben so zahlreiche Möglichkeiten, Ihren Hund zu motivieren.
-         Auf Spaziergängen sollten Sie insbesondere die Rückorientierung und Kooperation fördern (bitte beschäftigen Sie Ihren Hund, lassen Sie ihn nicht alleine vorweg rennen!).
-          Körperliche (zunehmende Muskelmasse durch Hormone), aber auch geistige Auslastung ist jetzt sehr wichtig.
-          Impulskontrolle steigern (Übungen können Sie von guten Trainern erklären lassen), Sozialfertigkeiten weiter schulen in kontrollierten Gruppenkursen ohne „da müssen die durch“ oder „das regeln die schon unter sich“.
-    Achtung, Impulskontrolle ist nicht unendlich vorhanden, sie muss immer wieder "aufgeladen" werden - dies geht gut durch Ruhepausen, Futter und vorallem Training in kleinen Schritten, nur solche Schritte, die der Hund auch bewältigen kann. Sie erinnern sich, mit der Konzentrationsfähigkeit steht es bei Ihrem Vierbeiner gerade nicht zum besten.
-        Das Training sollte Ihnen und Ihrem Hund auch weiterhin Spaß machen, auch wenn es teilweise so scheint, als könne der Hund gar nichts mehr…bleiben Sie weiterhin am Ball! Machen Sie sich eine Liste, was Ihr Hund besonders gut kann: vielleicht kann er gut alleine bleiben, vielleicht ist er besonders liebevoll zu Kindern etc.

In der Öffentlichkeit wird Ihr Hund eventuell verstärkt auf andere Hunde und Personen reagieren, aus diesem Grunde ist es wichtig, dass Sie Ihren Hund stets kontrollieren und ihm freundlich vermitteln, dass er sich an Ihnen orientieren soll, damit Sie die Entscheidungen für ihn fällen, die er selbst im Moment nicht gut treffen würde. Jetzt werden die Handlungsspielräume des Hundes festgelegt – wenn Ihr Hund immer alle Entscheidungen selbst treffen darf, sind Sie nicht mehr wichtig oder es könnten sich größere Probleme entwickeln.
In meiner Hundeschule immer wieder ein Thema: Achtung im Hundekontakt: Der Hundebesitzer, der seinen Hund angeleint führt und Ihnen entgegen kommt, wird einen guten Grund haben, seinen Hund nicht frei laufen zu lassen. Sei es, weil der Hund unverträglich mit anderen Hunden ist, sei es, der Hund ist läufig, krank oder hat ein Jagdproblem – die Liste ließe sich lange fortsetzen.
Bitte rufen Sie nun Ihren eigenen Hund heran und leinen Sie ihn an oder halten Sie ihn zumindest kontrolliert im Fuß, sofern Ihr Hund dies auf Signal beherrscht. Ein gemeinsamer Freilauf kann eventuell stattfinden, wenn man den anderen Hundebesitzer fragt. Ließen Sie Ihren Hund einfach auf den angeleinten Hund zustürmen, wird das vom anderen Hund meist als sehr unhöflich empfunden und kann starke Distanzierungsreaktionen auslösen, gerade weil der andere Hund angeleint ist. Und der stürmende Hund übt und lernt und festigt sein Verhalten.....
Genauso sollte beim Herannahen von Passanten oder gar Gruppen verfahren werden, viele Menschen haben Angst vor Hunden und noch mehr Angst, wenn dieser Hund aufdringlich ist oder auf  Passanten zustürmt. Auch in Parkanlagen oder Plätzen, auf welchen sich Personen befinden – ein das mitgebrachte Picknick vollsabbernder Hund macht niemandem Freude, geschweige denn ein Hund, der in eine Gruppe Ball spielender Kinder hineinrast (man mag es sich gar nicht vorstellen…). Hier kann vorausschauendes Handeln helfen und ist gerade bei einem pubertierenden Hund sehr, sehr wichtig. Ihr Hund ist auf Ihre Hilfe angewiesen, er braucht Sie als Leitbild!
     
Versuchen Sie, so weit es Ihnen möglich ist, sich ausreichend Gelassenheit anzugewöhnen. Legen Sie sich eine dicke Haut zu. Es ist doch nur ein Hund, der bellt, sich nicht gut konzentrieren kann oder sich kurz danebenbenimmt, nichts weiter!

 
Im Moment stellt Ihr Hund Fragen an seine Umwelt und er braucht Sie, um ihm ruhig und freundlich Antworten zu geben und ihm freundlich Spielräume aufzuzeigen, insbesondere auch, welches Verhalten erwünscht ist – Fehler durch Grobheiten, Strafmaßnahmen oder Ungeduld und aufbrausendes Verhalten vom Hundebesitzer wirken sich gerade jetzt nachhaltig auf die Beziehung aus! In dieser Phase braucht Ihr Hund Sie als wichtigste Bezugsperson. Lassen Sie ihn nicht hängen!

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Halten Sie durch :-) und lenken Sie gut!