Montag, 6. Mai 2013

Zurück in die Steinzeit?



Haben körperliche Strafen in der Hundeerziehung ihre Berechtigung und ist ein freundliches oder zumindest neutrales Training langwierig und ineffektiv? Ist es lächerlich, einen Hund mittels positiver Verstärkung zu trainieren? Braucht es mehr Härte in der Hundeerziehung, wenn auch vielleicht nur ab und zu? Wieder wie früher?

Immer wieder wird Ähnliches von Trainern geäußert, wenn sie sich für ihre groben Trainingsmethoden rechtfertigen wollen.

Den Kunden und deren Tieren gegenüber ist es meiner Meinung nach nur korrekt, die aktuellen Erkenntnisse anzuwenden und zu begründen, warum physische Bestrafung keine geeignete Trainingsform ist, statt einfach auf den Hund (oder die Katze, den Hamster, den Papagei oder das Kaninchen) draufzuhauen, Verhalten nur abzubrechen, statt zu verändern und dieses den Tierbesitzern, die Hilfe suchen, auch noch zu empfehlen. 


Oft ist doch das vorherige Training über physische Strafen ein häufiger Grund, weshalb der Trainer aus der „Wattebauschfraktion“ seine „Patienten“ unter Umständen länger betreuen muss.
Wenn so trainierte Hunde zur Verhaltenstherapie kommen, muss man nicht nur bei null, sondern meist tief im Minusbereich ansetzen. Fachlich korrekt oder effektiv gearbeitet haben Trainer, die physische Strafen einsetzen, nicht, denn der Hund ist jetzt oft erst richtig problematisch und zur Gefahr geworden – spätestens dann, wenn er sich gegen seinen Besitzer oder das Umfeld richtet (ein Risiko beim Einsatz von physischer Bestrafung). Viele Hunde haben aufgrund fehlerhaften Trainings über physische und psychische Bedrohung und Gewalt Probleme erst entwickelt!

Zum Totschlagargument „Drohende Einschläferung“ noch ein paar Worte: Insbesondere Hunde mit aggressiven Verhaltensweisen, sollten, da sie oft aufgrund des vormals fehlerhaften Trainings und/oder  aufgrund von Versäumnissen Probleme erst bekommen haben oder weil körperliche Ursachen vorliegen, nicht über positive Bestrafung gearbeitet werden. Innerhalb der Extremsituation befindet sich das Hundegehirn im Überlebensmodus, alle Alarmsysteme sind aktiv. Das Training muss vorher ansetzen, in Situationen, in welchen eine Eskalation noch entfernt ist. Eine Verhaltensveränderung kann nur außerhalb von Extremsituationen erreicht werden und muss dann in Richtung Problemsituation erweitert werden – das ist auch beim Menschen so. Warum nur gestehen sich manche Menschen ständige Ausraster und hoch emotionale Reaktionen zu und sehen selbst nicht, dass sie innerhalb dieser Situationen gar nicht in der Lage sind, anders zu reagieren oder überhaupt noch zu denken? Der Besitzer zeigt diese Unkontrollierbarkeit der eigenen Emotionen (mit Würgen, Schreien oder Schlagen des Hundes) oft gerade dann, wenn der Hund unangemessen reagiert. Dem Hund jedoch wird Emotionalität abgesprochen…er soll wie eine Maschine funktionieren, zu jeder Zeit. Nur, wer von beiden wäre denn  aufgrund seiner geistigen Leistungsfähigkeit überhaupt in der Lage, sich besser zu kontrollieren – Hund oder Mensch?  


Auch „Wattebauschtrainer“ haben häufig mit Aggression bei Hunden zu tun und auch wir trainieren überwiegend im Alltag mit den Auslösereizen (und nicht, wie so oft behauptet wird, nur in unrealistischen gestellten Situationen). Nur arbeiten wir nicht so, dass wir die Hunde direkt und unvorbereitet mitten in die für sie als gefährlich empfundene Situation zerren und dann physisch bestrafen, wenn sie – vorhersehbar! – unangemessen reagieren.  
Es gibt auch pathologische Formen von Aggression aufgrund körperlicher Ursachen. Ein Einsatz von Strafe ist hier ganz besonders falsch, unethisch und kontraproduktiv, denn der Strafende dringt vor allem in kritischen Situationen definitiv nicht dorthin vor, wo Lernen noch möglich wäre. Auch nicht, wenn der Trainer einen Schmerzreiz erzeugt – hierdurch wird nichts gelernt und auch durch das Erschrecken oder Zufügen von Schmerzen wird ein Hund nicht ansprechbarer, denn zusätzliche Empfindungen  kommen hinzu: Angst und Schmerzen. Ein ängstliches Tier oder ein Tier mit Schmerzen ist doch nicht ansprechbarer, als ein Tier, welches in einer von ihm als bedrohlich empfundenen Situation aggressiv reagiert. Das kann als Begründung nicht gelten.

Mir drängt sich immer wieder die Frage auf, was in den Köpfen im Hinblick auf moralische Vorstellungen vorgeht. Darf ich denn, wenn es bessere, effektivere und freundliche, hundegerechte Möglichkeiten gibt, als verantwortungsvoller Hundebesitzer physische Bestrafung einsetzen? Muss ich nicht auch überlegen, gerade dann, wenn ich Verantwortung für ein Lebewesen übernommen habe, wie ich Dinge dauerhaft ändern kann, ohne dass ich meinem Schutzbefohlenen gegenüber grob werde oder ihn erschrecke? Wo habe ich selbst Fehler gemacht, habe ich einen Beitrag zum Fehlverhalten geleistet und darf ich den Hund dafür strafen? Kann ich mein Handeln mit meinen moralischen Ansprüchen in Einklang bringen? Darf ich als Trainer meinen Kunden Gewalt anraten, wenn es auch anders und dauerhafter geht?  

Nun aber zur Kernfrage: Ist das „Wattebauschtraining“ eigentlich wirklich so soft und ist es wirklich nicht effektiv und dabei noch langwierig?

Jetzt kommen die  – Achtung, das böse Wort! – Lerngesetze bei Hunden wieder ins Spiel und wollen praktisch umgesetzt werden, sie gelten auch für Trainingsformen mit physischer Bestrafung, so sehr dies oft verleugnet und belächelt wird. 


So viel vorweg und ganz neutral: alle vier Quadranten, also positive und negative Verstärkung sowie positive und negative Strafe funktionieren! Alle vier Wege führen also zu einem Effekt. Es lassen sich für alle Wege der operanten Konditionierung noch einmal detaillierte Regeln aufstellen.
Für die positive Bestrafung müssten, um eine Wirkung zu ermöglichen, die Folgenden eingehalten werden:
·        Strafe muss etwas sein, was der Hund nicht mag und nicht erwartet und muss biologisch nachvollziehbar für den Hund sein
·        Strafe muss das Verhalten unterdrücken, sonst ist ihr Einsatz ineffektiv
·        Die Strafe sollte mit dem Verhalten, aber nicht mit dem Anwender oder Umgebungsreizen assoziiert werden
·        Strafe muss zeitnah erfolgen (innerhalb von 0,5 bis 1 Sekunde) und jedes Mal erfolgen, wenn das unerwünschte Verhalten gezeigt wird.
·        Strafe muss sofort so stark sein, dass das unerwünschte Verhalten beendet wird, darf aber nicht so stark sein, dass es zur Traumatisierung des Individuums kommt.
·        Es muss immer Alternativen für den Hund geben, die Strafe zu umgehen und der Strafeinsatz sollte niemals den Hauptbestandteil der angewandten Lerngesetze und Trainingsmethoden ausmachen.

Alle diese oben angeführten Regeln einzuhalten, schafft weder ein Trainer noch ein Hundebesitzer, der positive Strafe anwendet! Es ist technisch nicht machbar (spätestens dann, wenn es um die Assoziationen und das Einhalten der Regelmäßigkeit geht) und es ist auf dieser Grundlage fast ignorant, einen Einsatz positiver Bestrafung zu befürworten!
Ganz besonders verwirrend und somit verunsichernd für Hunde ist übrigens eine Kombination aus positiver Strafe und Belohnung – hier wird versucht, das Nichteinhalten der obigen Regeln durch (meist sparsame) Belohnungen wieder wettzumachen. Für Hunde ist diese  „Jekyll-und-Hyde-Methode“ ganz besonders schlecht zu verstehen, der Besitzer wird aus Hundesicht unberechenbar, der Hund ist im Dauerstress.  

Worauf sollte denn (wir sind mittlerweile in 2013 angekommen!) ein Training auf aktuellem Stand basieren?

In erster Linie sollte die positive Verstärkung eingesetzt werden: dies bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit oder Häufigkeit für das Ausführen einer bestimmten Verhaltensweise durch Hinzufügen eines für den Hund angenehmen Reizes erhöht wird. Der Anteil „positive Verstärkung“ ist derjenige, der nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft den höchsten prozentualen Anteil des Trainings ausmachen sollte (im Idealfall über 95%). Es gibt Trainer und Hundehalter, die sehr nahe an der 100%-Marke trainieren; es werden gezielt alle Verhaltensweisen verstärkt, die  nicht das unerwünschte Verhalten sind.

Manchmal wird vielleicht noch die negative Bestrafung benötigt oder ergibt sich im Training und Alltag, allerdings hoffentlich eher selten und nur ganz kurzfristig. Negative Bestrafung bedeutet, dass ein Verhalten seltener auftritt, weil ein für den Hund angenehmer Reiz entfernt wird, z.B. eine Belohnung bleibt aus oder ein zu grobes Spiel wird unterbrochen, indem der Hundebesitzer kurz weggeht.
Es sollte schnell daran gearbeitet werden, richtige Verhaltensalternativen zu bestärken und zu betonen, statt stets negative Bestrafung einzusetzen.

In manchen Fällen, z.B. bei reaktiven Hunden, kann ein entsprechend aus- und weitergebildeter Trainer oder Besitzer negative Verstärkung einsetzen. Das Entfernen eines unangenehmen Reizes wirkt hier verstärkend. Wenn diese Trainingsform bei bestimmten Hunden eingesetzt wird, sollte sie unbedingt fachlich korrekt in einen Trainingsplan eingebaut sein, zu Beginn mit positiver Verstärkung kombiniert werden und stufenweise erfolgen, damit der Hund bewusst die richtige Alternative wählt. Dann ist auch negative Verstärkung sehr effektiv.


Jeder Hundebesitzer und jeder Trainer kann zusätzliche Managementmaßnahmen, mit welchen durch Planung im Vorfeld verhindert wird, dass ein gefährdendes oder unangemessenes Verhalten auftritt, einsetzen. Ein alleiniges Management bringt allerdings wenig, denn es verhindert, verbessert oder verändert aber nicht. Kritische Stimmen werden jetzt vermutlich anmerken, dass eine Managementmaßnahme auch eine Bestrafung ist – nein, denn sie wird ja zur Verhinderung (also vor einem Verhalten) und nicht als Konsequenz einer Verhaltensweise eingesetzt. Wenn sie eine Konsequenz wäre, dann wäre das Timing ziemlich bescheiden. Und Leinenrucken, Würgen, Zwicken oder Schlagen ist nun mal kein Management, das ist positive Bestrafung.

Die positive Bestrafung, wird bei einem Trainer / Hundebesitzer, der über positive Verstärkung arbeitet, weggelassen. Er/Sie beruft sich dabei auf Erkenntnisse aus der Forschung. Die Quadranten negative Verstärkung und negative Bestrafung werden sehr selten oder gar nicht eingesetzt; den höchsten Anteil macht die positive Verstärkung aus.
 
Im Grunde ist das Arbeiten über positive Verstärkung nichts Lächerliches, es ist eine logische und ernsthafte Methode und weit vom „Heiteitei“ entfernt:
Der Anwender positiver Verstärkung ist so gut informiert und hat entsprechende Trainingsfähigkeiten, dass er Verhaltensweisen seines Hundes, die er sehen möchte, formen und festigen kann – und der Hund findet das auch noch super, denn es zahlt sich für ihn aus und er arbeitet gerne.
Manche „Gegner“ behaupten, die Hunde werden manipuliert und sind willenlos, man spräche ihnen das Denken ab. Willenlos sind sie definitiv nicht, sie werden so trainiert, dass sie das Gefühl haben, sie könnten ihrerseits den Menschen beeinflussen, indem sie Verhalten anbieten; diese Hunde wollen arbeiten, sind stark motiviert und sehr kreativ. Der Trainer oder Hundebesitzer hat die Kontrolle über Verstärkung und fördert das gewünschte Verhalten, statt falsche Verhaltensweisen stets unterbinden zu müssen.  
Und es ist tatsächlich so, dass die Hunde hier gerne und freudig trainieren. Und nein, sie sind nicht „nur dressiert“, denn sie bieten selbständig Verhaltensweisen an. Niemand spricht dem Hund das Denken ab, denn genau dies möchte ein guter Trainer und/ oder Hundebesitzer haben – einen denkenden Hund, nur so ist ein Fortschritt im Training möglich und der Hund ist wirklich ausgelastet.
Auch bzw. vor allem aggressive Hunde können und sollten über eine Verstärkung des richtigen Verhaltens gearbeitet werden, unter Umständen muss jedoch Zeit und Geduld aufgewendet werden, um das Vertrauen wieder herzustellen.
Ein Training von Hunden ist durchaus ohne positive Bestrafung möglich. Und außerhalb der Trainingseinheiten möchte man doch auf der Basis von Vertrauen und einer guten Bindung mit dem Hund zusammenleben und die Zeit genießen können.

Oft wird argumentiert, alle Erkenntnisse über das Lernen mit den entsprechenden Gesetzen wären spätestens dann nicht mehr relevant, wenn es um "soziales Lernen" bei Hunden ginge. Doch, denn auch beim Lernen im sozialen Umfeld finden Gewöhnung, Sensibilisierung, klassische Konditionierung, positive und negative Verstärkung und Bestrafung sowie Beobachtungslernen statt. 
Über höhere kognitive Fähigkeiten bei Hunden wissen wir aktuell zu wenig, um diese Ebene direkt ansprechen zu können. Deshalb müssen wir mit den Möglichkeiten arbeiten, die wir haben und unnötige Trainingselemente vermeiden. 

Übrigens kann beim Shaping oder „Freien Formen“, der hohen Schule des Trainings mit Marker- oder Brückensignalen, sogar die Körpersprache des Hundes so trainiert werden, dass man z.B. das Schwanzwedeln oder eine Spielaufforderung unter Signal stellen und abrufbar machen kann. Beim Targettraining, einer anderen Trainingsform auf derselben Basis, kann ein Hund lernen, das Licht einzuschalten, Türen zu öffnen oder zu schließen und vieles mehr.
Wären diese Punkte über Bestrafung der nicht gewünschten Verhaltensweisen trainierbar? Definitiv nicht.

In diesem Sinne – fördern Sie Verhalten, welches Sie sehen wollen und seien Sie ein guter Lehrer!

1 Kommentar:

  1. " ...indem sie Verhalten anbieten; diese Hunde wollen arbeiten, sind stark motiviert und sehr kreativ. Der Trainer oder Hundebesitzer hat die Kontrolle über Verstärkung und fördert das gewünschte Verhalten, statt falsche Verhaltensweisen stets unterbinden zu müssen." (Sybille Ehlers / Hundeschule "An der Leine")

    So erleben wir es mit Ayla täglich, ihr Lern- und Arbeitswille ist unerschöpflich. Lernerfolg und Spaß für Hund und Halter scheinen durch Anwendung der "positiven Verstärkung" grenzenlos . Die "alte Schule" der Hundeerziehung ist bei uns lange kein Thema mehr.

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