Donnerstag, 9. August 2012

Leinenaggression Teil 2 – was hilft und was ist gefährlich?

Im ersten Teil zum Thema Leinenaggression aus dem vorletzten Blogeintrag habe ich die Körpersprache, die Ursachen, die Gründe für Aggression sowie die Verstärkung durch die Leine beschrieben und erklärt. Aggressive Körpersprache und Lautäußerungen sind Kommunikationsmittel, um eine räumlich-zeitliche Distanz zu schaffen und auch, um die eigenen Interessen durchzusetzen (es geht um etwas für den Hund Wichtiges, den eigenen Körper, Futter, die biologische Fitness etc.).  Dieses heißt bei einer Leinenaggression meist nichts anderes als: „bleib mir vom Leib“ oder „komme mir nicht zu nahe“ (das gilt nicht für frustrationsbedingte Formen, diese sind hier ausgenommen!).

Wissen ist Macht, nur informierte Hundehalter können richtig verfahren, deshalb auch in diesem Teil zum Thema Leinenaggression ausführlichere Erklärungen:

 
Im Hundegehirn (es ist ähnlich beim Menschen) kommt es im Bereich für Erwartungen und strukturiertes Vorgehen – im präfrontalen Cortex – bei Anblick des Auslösereizes „anderer Hund“ zu einer Übererregung. Dann ist kein Handlungsziel mehr entwickelbar, der Hund wird regelrecht kopflos und kann nur noch mit den vorhandenen Mustern der Krisenbewältigung (Aggression zur Distanzierung) reagieren. Wenn diese Verhaltensmuster nicht weiterhelfen, was bei einer weiteren Annäherung des anderen Hundes der Fall ist, da die Kommunikation nicht zur Distanzvergrößerung beiträgt, dann wird der Hirnstamm aktiviert. In diesem Bereich geht es mehr oder weniger um das Überleben, das eigentlich nur durch Flucht (diese ist dem angeleinten Hund ja nicht möglich) oder aber durch Angriff gewährleistet werden kann. Der Hirnstamm ist ein entwicklungsgeschichtlich sehr alter und wichtiger Teil des Gehirns, dort liegt sozusagen die "Survival-Zone" - es sind keine Alternativen im Verhalten mehr möglich, wenn dieser Bereich aktiv ist. Bei Hunden, bei welchen weder Flucht noch Angriff möglich sind, folgt in der Regel eine Erstarrung und Hemmung, da mehrere Bereiche des Gehirns quasi im Leerlauf hochfahren. Das ist besonders fatal, denn hieraus resultieren auf Dauer stressbedingte Folgeerkrankungen, also massive Angst- oder Zwangsstörungen oder auch weitere aggressive Verhaltensstörungen. Deshalb sind die Trainingstechniken, die auf dem so genannten Flooding basieren (der Hund wird solange einem beängstigenden oder bedrohlichen Reiz ausgesetzt, bis er nicht mehr reagiert – also vollkommen erschöpft ist) tierschutzwidrig - der Hund kann nicht rational vorbereitet werden - und im Falle von Aggression auch sehr gefährlich! 

Betroffene Hundehalter wünschen oft, das Verhalten solle so schnell wie möglich aufhören, ohne jedoch zu viel Aufwand (wenn möglich gar keinen) betreiben zu müssen. Wenn wir jedoch alle zunächst einmal bei uns selbst anfangen, würden wir merken, dass das Ablegen von Gewohnheiten oder fest verwurzelten Verhaltensweisen doch extrem viel Arbeit macht, auch bei uns Menschen, die wir ja mit höheren geistigen Kapazitäten als Hunde ausgestattet sind. Zu berücksichtigen ist, dass auch wir Menschen in starker Emotionalität, sprich, wenn wir uns bedroht fühlen, Angst empfinden oder auch, wenn wir sehr aufgeregt sind, meist nicht besonders variationsreich, sondern nur sehr, sehr kopflos reagieren können, wie oben beschrieben. Genauso geht es den Hunden, wenn nicht noch stärker, da neben der Panik des Hundes dann auch noch kaum oder schlechtes Feedback vom Menschen kommt. Auch der Mensch sollte Willens sein, ein paar wichtige Punkte an seinem Verhalten zu ändern oder zumindest lernen, wie er für seinen Hund in derartigen Situationen ausreichend Sicherheit ausstrahlt – das geht bestimmt nicht durch schreien, schlagen oder schimpfen…

Was wird meist versucht, um das Verhalten zu beenden? 

1.      Schimpfen

Leider kann ein Hund, da er nicht über ein mit dem des Menschen vergleichbares Wortverständnis verfügt, das Gesagte nicht verstehen – die Stimmung und den Klang der Worte nimmt er jedoch sehr wohl wahr. Dies führt in der Regel dazu, dass der Besitzer durch schimpfen und böse werden das Verhalten des Hundes unwissentlich verstärkt. Der Mensch bellt mit – der Hund bezieht die Aufregung nicht auf sein eigenes Fehlverhalten, sondern auf den anderen Hund, der sich annähert. Das Problem wird verstärkt. 

2.      Strafreize

Manche Hundehalter verwenden den Einsatz von körperlichen Einschränkungen und Strafreizen. Hierzu gehören Blockaden, Bedrohungen oder gar Gewaltanwendung mit  Leinenrucken, Anlegen von Ketten- oder Stachelhalsbändern, Anrempeln, Zwicken, Schubsen oder Schlagen des Hundes. Manch einer versucht sich, auch heute noch, an der antiquierten und nicht hundegerechten Alpha-Rolle.
Übrigens fallen die vermeintlichen „Soft-Methoden“ Wasserspritzpistole und Schepperdose auch unter diese Kategorie, da sie aversive und unangenehme Reize (also Strafen) darstellen und dem Hund nicht gesagt wird, was er in seiner Aufregung und Alarmstimmung denn stattdessen tun soll. Nur eben, dass die Hände aus dem Spiel sind; aber glauben Sie nicht, dass der Hund nicht doch deutlich mitbekommt, wer die Dose wirft oder wer aus der Wasserpistole spritzt? Will Mensch denn, dass er selbst noch mit als extrem negativer Faktor ins Geschehen eingebunden wird? 
„Körperlichkeiten“ führen manchmal kurzfristig zu einer tückischen und trügerischen Besserung, indem die Strafe das unerwünschte Verhalten vorübergehend unterdrückt. Der Hundehalter fühlt sich bestätigt, aber das grob werden hat zahlreiche Nachteile und birgt böse Stolperfallen:
  • Manchmal (i.d.R. zu Beginn des Einsatzes) scheinen Strafen schnell zu funktionieren. Dadurch scheinen Strafen „die“ Lösung zu sein. Besonders gerne wählen manche Menschen eben Methoden, bei welchem sie sich keine Gedanken machen oder gar über ihr eigenes Verhalten reflektieren müssten. Besonders traurig ist, dass der Hund darunter leiden muss!
  • Manche Hundehalter sind leider noch nicht ausreichend über das Lernverhalten von Hunden informiert und sind sich nicht über ablaufende Verknüpfungen und mögliche Folgen bewusst.
  • Der Besitzer unterliegt einer negativen Verstärkung, er wird seine eigene Anspannung und Frustration los, wenngleich auf sehr fragliche Weise. Er wird wieder und wieder schreien, grob werden und strafen.
  • Hunde lernen orts- und situationsbezogen und verknüpfen emotional immer die Situation, anwesende Personen, Hunde und Tiere sowie Orte mit, insbesondere bei traumatischen Erlebnissen. Die Strafe und Gewalt werden in der Regel nicht mit dem eigenen Verhalten, sondern mit in der Situation anwesenden Faktoren bzw. im einfachen Fall mit dem ursprünglichen Auslöser (anderer Hund, angeleinter Zustand) verknüpft. Was passiert also, wenn der Hund den Schmerzreiz mit dem eigenen Menschen oder dem anderen Hund, einem zufällig anwesenden Kind, Passanten oder einem unbeteiligten Hund assoziiert? Welche Emotionen wird der Hund in Zukunft beim Anblick des Besitzers / des Kindes / des anderen Hundes – und noch weiter gedacht – beim Anblick von Menschen / Hunden / Kindern haben? Man könnte es „die Uhr von der Zeitbombe entfernen“ nennen. 
  • Bei Strafreizen wird die emotionale Grundhaltung des Hundes nicht verbessert, es werden lediglich Verhaltensweisen (für kurze Zeit) unterdrückt. Die emotionale Grundhaltung wird eher ins Negative verstärkt.
  • Körperlichkeiten können dazu führen, dass ein Hund lernt, jegliche Warnsignale einzustellen, bevor er zubeißt.
  • Der Hund erfährt eine sehr unangenehme Einwirkung durch seinen Besitzer in besonders negativer Form – auch bei einem Schubser oder einem Kneifen. Das ist der Bindung und somit dem Zusammenleben mit dem Hund nicht zuträglich. Das Vertrauen des Hundes in seinen Besitzer geht verloren, der Mensch fällt dem Hund sozusagen in den Rücken. Besonders schlimm finde ich hier immer, dass Hunde ja nicht einfach ihre Familie / ihren Besitzer verlassen können (genauso wenig können Hunde auswählen, in welche Familie sie kommen), sondern „ihren Menschen“ meist lebenslang treu und loyal zur Seite stehen werden. Und aus dieser Sicht empfinde ich einen Strafeinsatz als besonders schändlich. Haben Sie sich einen Hund angeschafft, um ihn permanent strafen zu müssen? Ich nicht. Der Grund für die Hundehaltung stellt sich doch bei stetigem Strafeinsatz in Frage!
  • Der Hund und sein Besitzer sind in entsprechenden Situationen hochemotional – starke Emotionen verhindern rationales Denken. Lernen wird stark eingeschränkt bzw. verhindert (Assoziationen sind aber möglich, da sie u.a. emotionale Aspekte betreffen). Alle Überlebensreflexe sind eingeschaltet, für Rationalität ist keine Zeit.
  • Strafen müssen immer stärker werden, um wirksam zu bleiben (Belohnungen könnten theoretisch immer weniger werden, so man denn möchte). Strafen werden also mit ziemlicher Sicherheit das Auftreten des unerwünschten Verhaltens verstärken!
  • Der Hund meidet seinen Besitzer oder wehrt sich im schlimmsten Fall. Strafen können nachhaltige psychische und physische Beeinträchtigungen des Hundes verursachen und können zu Gegenaggression führen – der Hund fühlt sich am Leben bedroht und wehrt sich (positive Verstärkung führt übrigens nicht zu Aggression!).
  • Bei Strafen wirken sich Fehler im Timing oft fatal aus…und wer von uns Menschen ist schon hundertprozentig konsequent und hat ein supergenaues Timing? Alleine durch diesen Punkt ist Strafeinsatz nichts weiter als Tierquälerei. Beim Arbeiten über Lob und positive Verstärkung würden Sie einfach Ihr Timing für die nächsten Durchgänge zu verbessern versuchen. Bei Strafen wirkt sich ein schlechtes Timing auf übelste Weise aus.
  • Mit Strafen „gearbeitete“ Hunde bieten wenig bis kein selbständiges Verhalten mehr an (im schlimmsten Falle bis hin zur erlernten Hilflosigkeit, bei welcher es zu einer Imbalanz an Neurotransmittern im Gehirn kommt) und sind oft deutlich schwerer und nur langwieriger zu trainieren / therapieren. Manchen armen Seelen kann man leider nicht mehr helfen…
  • Wo auf der Welt führt Gegenaggression zu einer Verringerung von Aggression?
  • Starke körperliche Strafen sind nach dem Tierschutzgesetz verboten! Der Halter macht sich strafbar.

Bitte nicht mehr wehtun

3. Ablenken

Auch diese Variante wird oft eingesetzt. Sie ist zunächst „besser“ als die Strafvariante, weil sie nicht tierschutzwidrig ist, führt aber nicht zu den gewünschten Erfolgen, da der Hund durch die Ablenkung (die Gott sei Dank meist - weil nur dann wirksam -  positiver Natur ist), den Auslöser nicht wahrnimmt und somit nicht in Alternativverhalten geschult wird.  Ohne „Ablenkungsmittel“ zeigt der Hund das Fehlverhalten meist genauso oder aber es treten Timingfehler auf, die das unerwünschte Verhalten verstärken. Im Grunde soll der Hund ja bei Anwesenheit des anderen Hundes ein anderes Verhalten zeigen – dies geht natürlich nicht, wenn man verhindert, dass der Hund den Reiz überhaupt wahrnimmt.

Achtung: keine dieser drei oben erwähnten Methoden, die von den meisten Hundehaltern mit leinenaggressiven Hunden irgendwann einmal praktiziert werden, berücksichtigt die Motivation des Hundes! Bei keiner der o.g. „Trainingsmethoden“ wird berücksichtigt, warum der Hund das Verhalten zeigt und was der Hund mit dem Verhalten bezwecken möchte. Zudem wird bei allen Methoden nicht an der emotionalen Grundhaltung des Hundes gearbeitet. Diese wiederum kann nur verändert werden, wenn man sich im Klaren über die Motivation des Hundes ist.


4.      Die „Grauzone“: Arbeiten über negative Verstärkung

Hierbei wird der Hund im Training bewusst in eine ihm unangenehme Situation (ein Hund oder eine Person nähert sich dem angeleinten Hund) gebracht. Der Trainingsweg liegt darin, dass die unangenehme Situation vor dem Beginn des Fehlverhaltens, in diesem Falle unangemessenes Verhalten an der Leine, durch Weggehen aus der Situation „belohnt“ wird. Die Belohnung für das Ausbleiben der Leinenaggression ist die Beendigung dieser Situation, also das Weggehen. (Schlaue Leser bemerken hier eine große Schwierigkeit im Timing…wenn der Hund bereits im Fehlverhalten ist, könnte etwas ganz anderes belohnt werden…)
Viele Personen finden derartige Trainingswege ganz ansprechend, weil sie aus der Situation „belohnen“ können und keine weiteren Motivationsmittel benötigen, sie nutzen, was der Hund in dieser Situation am liebsten tun würde – weglaufen.
Ich frage mich immer, warum hier nicht gleich daran gearbeitet wird, dass der Hund die Annäherung eines anderen Hundes als angenehm kennen lernen kann? Und das geht nun mal nur dadurch, dass es sich für den Hund auszahlt, nicht zu reagieren (der Hund ignoriert den auftretenden Reiz) bzw. später mit erwünschtem Verhalten (welches der Hund erst lernen muss) zu reagieren. Dies wiederum kann nur durch starke gegenläufige Motivationsmittel erreicht werden. Ganz unter uns, lieber füttere und bespiele ich meinen Hund ein Leben lang für korrektes Verhalten, als dass ich ein Hundeleben lang unangenehme und kritische Situationen aufsuchen muss oder gar meinen Hund ein Leben lang strafe….warum nur so viele Menschen ein Problem mit Belohnungen haben? Dreht sich doch auch das menschliche Leben hauptsächlich um Motivation und Belohnung – aber der Hund soll (aus ihm unerklärlichen Gründen) aus Respekt und Ehrfurcht arbeiten?
Wenn die Methoden der negativen Verstärkung unter extrem kontrollierten Bedingungen stattfinden würden, könnten sie effektiv sein, da negative Verstärkung zukünftige Verhaltensweisen stark beeinflussen kann. Unangenehm und schlecht hierbei (wenn nicht in einen Trainingsplan eingebunden) ist einerseits, dass der Hund nicht gesagt bekommt, was er denn statt dem unangemessenen Verhalten an der Leine zeigen soll und andererseits, dass auch hier die emotionale Grundhaltung des Hundes nicht verändert wird. Und, hier halte ich es mit Jean Donaldson , es ist nicht gut, wenn der Hund erst in eine solch unangenehme Lage gebracht werden muss, damit negative Verstärkung wirken kann. Man muss den Hund also massiv stressen, um das reine Weggehen (ohne weitere unterstützende Techniken) als belohnend einzusetzen. Das kommt dem weiteren Vorgehen bzw. dem leinenaggressiven Verhalten auf Dauer ganz bestimmt nicht entgegen und ist meist nur sehr schwer zu timen.
Wenn ein so genannter "funktionaler Verstärker", also diejenige Handlung, die der Hund am liebsten tätigen würde, mit einer Gegenkonditionierung, einer Desensibilisierung und einem Alternativverhalten auf der Basis von Belohnung gekoppelt wird, ist er durchaus sinnvoll. In einen Trainingsprozess eingebaut und in Kombination mit anderen "Werkzeugen" ist es eine sehr effektive weitere Belohnungsmöglichkeit! 

Fällt der Groschen?

Geeignete Methoden:

Natürlich ist das korrekte Vorgehen individuell sehr unterschiedlich, da jeder Hund eben auch ganz andere Verhaltensweisen zeigt und jeder Hund eine andere Reizschwelle und Reizintensität erträgt. Das Arbeiten an leinenaggressivem Verhalten ist also eine ganz individuelle Sache und sollte unbedingt auf den jeweiligen Hund, dessen spezifische Auslöser, dessen Motivation, dessen Möglichkeiten und Lernvermögen sowie auf die Umsetzbarkeit durch den Hund und die Besitzer zugeschnitten sein. Einheitliche Trainingsschemata kann und darf es somit nicht geben. Wenn ein Trainingsweg die Eigenheiten eines Hundes nicht berücksichtigt, kann dieser Weg nicht erfolgreich sein.

Bitte suchen Sie sich einen auf der Basis positiver Verstärkung arbeitenden Trainer oder Therapeuten und lassen Sie sich einen individuellen Trainings- und Vorgehensplan entwickeln. Suchen Sie sich Hilfe, denn Leinenaggression kann Sie und Ihren Hund krank machen, zudem kann die Öffentlichkeit, andere Hunde und Sie selbst gefährdet werden. Achtung, wer mit positiven Methoden wirbt, muss diese nicht unbedingt anwenden! Vereinbaren Sie ein Vorgespräch, bevor Sie sich festlegen, um sich einen Eindruck zu verschaffen oder beobachten Sie den Trainer im Rahmen einer Probestunde. Sobald auch nur ansatzweise Methoden aus den oben beschriebenen Punkten 1, 2 und 3 (und wenn in Reinform ausgeführt-ohne Veränderung der emotionalen Grundhaltung-auch die Methode 4) als Arbeitsweise genannt werden, investieren Sie Ihr Geld bitte nicht in Methoden, die Sie zurückwerfen oder Ihren Hund leiden lassen und zur tickenden Zeitbombe trainieren. Argumentationen wie: “das tut dem Hund gar nicht weh“, „das ist normal“, „Hunde machen das auch so grob“ oder der „imitierte Biss“, „Schon-Ruck-Halsbänder“, „Leinenimpuls“ oder andere beschönigende Begriffe sind nichts anderes als Umschreibungen für Straf- und Schreckreize und sollten bei Ihnen alle Warnsysteme hochfahren lassen – gehen Sie woanders hin! Heutzutage haben Sie so viele Wahlmöglichkeiten, es finden sich immer Trainer, die durchweg positiv arbeiten und Ihnen die Gründe des Vorgehens wissenschaftlich belegt erklären können.
Gehen wir raus?
Es gibt allgemeine grundlegende Prinzipien, die bei Hunden mit Leinenaggression beachtet werden sollten:
  • Es muss eine Diagnose erstellt werden. Der Trainer oder Therapeut erfragt einen ausführlichen Vorbericht (auch, um die Gefährlichkeit der Verhaltensweisen abzuklären) und führt eventuell eine verhaltensmedizinische Untersuchung durch. Eine vollständige tierärztliche Untersuchung ist ebenfalls angebracht, denn möglicherweise vorliegende organische Ursachen sind unbedingt auszuschließen. Hierzu gehören z. B. schmerzassoziierte Verhaltensweisen, hormonelle Ursachen oder Probleme mit den Sinnesorganen.
  • Faktor Dauer: wie lange zeigt der Hund das Verhalten schon und wie wurde bislang damit umgegangen, was wurde unternommen? Fehlerhaftes Training verlängert die Therapie. Also schnell Hilfe in Anspruch nehmen!
  • Faktor Distanz: wo ist der kritische Punkt, an welchem das Verhalten beginnt? Es muss immer unterhalb der Reaktionsschwelle gearbeitet werden, damit der Hund angemessenes Verhalten lernen kann. Ist er schon angespannt, wird das zu Trainierende nicht ankommen. Eine schöne Methode, um mit der Distanz und auch der Erwartungshaltung des Hundes zu Beginn des Trainings zu arbeiten, sind Methoden, bei welchen der Hund im Rahmen eines „Spiels“ lernt, sich nähernde Personen oder Hunde auf Signal (oder ohne Signal) mit dem Blick in die Richtung hin anzuzeigen (und sieht im Anschluss vom Reiz weg und auf den Besitzer, da dieses Spiel ja vom Besitzer belohnt wird). Hier wird die kritische Distanz des Hundes nicht unterschritten und man kann das Ganze auf einer rationalen und belohnungsbasierten (und somit freudigen) Ebene halten, was zu Beginn des Trainings sehr vorteilhaft sein kann. Hierzu gibt es bei einem kompetenten Trainer Anleitung. Für das Durchschreiten einer kritischen Situation jedoch benötigt man weiteres Handwerkszeug, das Hinsehen-Spiel kann nicht genutzt werden, um direkt in und durch eine Auslösesituation zu gehen.
  • Faktor Motivation: was will der Hund mit seinem Verhalten erreichen und erreicht er es unabsichtlich auch? Leinenaggressives Verhalten ist oft selbst belohnend. Achtung bei frustrationsbetonten Formen, hier möchte der Hund zum anderen Hund hin – das Training verläuft anders!
  • Was soll der Hund denn stattdessen tun? Kann ein Hund dieses Verhalten in einer solchen Situation tatsächlich ausführen? Wie realistisch sind die Erwartungen? Wie gut ist dieses Alternativverhalten bereits ausgearbeitet? Kann der Hund es auch unter Ablenkung ausführen? Kann er es freudig ausführen, wie ist seine Stimmung dabei?
  • Faktor Qualität des gegenläufigen Motivationsmittels und des Trainings. Um effektiv an Problemsituationen arbeiten zu können, benötigt man sehr starke Gegenmotivationen. Überlegen Sie bitte: Ihrem Hund geht es in einer solchen Situation um das Überleben und eigene Vorankommen. Was motiviert ihn mindestens ähnlich stark im Positiven und macht ihn freudig aufgeregt? Das kann natürlich keine Strafe oder ein anderer aversiver Reiz sein. Starke gegenläufige Motivationsmittel haben bei geplantem und gezielten Einsatz den Vorteil, dass die emotionale Grundhaltung des Hundes ins Positive verändert wird. Der Hund empfindet die Situation als angenehm!
  • Faktor Zeit: alle effektiven Methoden sind im Aufbau, da sie nur schrittweise umgesetzt werden sollten, etwas arbeitsintensiver. Sie möchten bei Ihrem Hund eine langfristig wirksame Verhaltensänderung und eine positive emotionale Grundhaltung erreichen. Denken Sie an eigene lästige Gewohnheiten und Verhaltensmuster, um eine Änderung zu erreichen, müssen auch Menschen sehr intensiv an sich arbeiten! Ich habe allerdings auch ein paar „Patienten“, die innerhalb sehr kurzer Zeit wie „Einser“ durch vormals chaotische Situationen gehen, weil ihnen von ihren Menschen besonders gut geholfen und gezeigt wurde, auf was es ankommt und was sich stattdessen besser auszahlt. Diese Fälle machen mich persönlich immer sehr, sehr glücklich!
  • Faktor Quantität: wie oft und wie erfolgreich wird am Problemverhalten gearbeitet? Im Idealfall findet ein Training in vielen, ganz gezielt geplanten und kontrollierten Einheiten statt, die erst dann intensiviert werden können, wenn der Hund in der Lage ist, „mehr“ zu ertragen und dabei ruhig zu bleiben.
  • Welche Basis-Handwerkszeuge werden benötigt, wie werden diese angemessen trainiert? Was sagt der Hund uns? Was erträgt er, was kann er leisten? Wie stark ist sein Stress?
  • Liegen Probleme in der Struktur des Zusammenlebens Hund-Mensch vor? Ist die Beziehung schon angeknackst durch Strafmethoden? Wie können diese freundlich-neutral und konsequent gelöst werden? Was muss geändert werden? Hiermit sind nicht die Methoden der beiden populären Fernsehtrainer gemeint, es geht weder um das Dominanzkonzept noch um „pöbelndes“ Verhalten.
  • Viele weitere Punkte könnten noch aufgeführt werden. Sie sehen jedoch, dass Verhaltensänderungen und entsprechende Pläne und Trainingsüberlegungen sehr individuell zugeschnitten sein müssen.

Um weiterhin eine schöne Zeit mit dem Hund verleben zu können und um auch in Zukunft wieder Freude am Hund und an gemeinsamen Aktivitäten zu empfinden, kann ich nur empfehlen, dass sich Betroffene schnell kompetente Hilfe suchen. Das haben Sie und Ihr Hund sich mit Sicherheit verdient und Ihr Hund ist Ihren Einsatz auf alle Fälle wert!  
Danke für die Hilfe!